Major Tommy Egan hat den Steuerknüppel seiner F-16 gegen einen Joystick getauscht. Der Pilot möchte liebend gerne wieder zurück ins Cockpit, auch wenn das hieße, Einsätze weit entfernt von seiner Familie zu fliegen, statt in einem Container in der Wüste Nevadas, Drohnen, die tausende Kilometer weg sind, via Stick und Bildschirm zu steuern und zu ihrem tödlichen Einsatz zu bringen. Jeden Tag mit dem Wagen zweimal Las Vegas durchqueren, um in einer gesichtslosen Suburbia öden Familienalltag mit Nachbarschaftsgrillen und Sprachlosigkeit zu erleben.
Der Kassierer im Supermarkt, in dem Egan seinen täglichen Bedarf an Wodka deckt, nervt mit Fragen nach der Echtheit der Uniform und glaubt ihm natürlich nicht, wenn er sagt, dass er gerade sechs Taliban ausgeschaltet habe. Ohne Kollateralschäden. “A Good Kill” halt.
Stoisch geht Major Tommy seiner Aufgabe nach: Überwachen, suchen, killen. Auch als sich die CIA fernmündlich aus Langley einschaltet, und die Vermeidung ziviler Opfer während der Ausschaltung eines mutmaßlichen Terroristen oder einer lokalen Gefährdung (Betonung auf “mutmaßlich”) keine Rolle mehr spielt.
Etwas plakativ aber effektiv bebildert Andrew Niccol die herrschende Doppelmoral, indem er Egan und seine Kollegen mehrfach Zeugen einer Vergewaltigung werden lässt, ohne einzuschreiten, andererseits aber ganze Familien ausgerottet werden dürfen, weil ein vermutetes Ziel dabei eliminiert wird.
Die abschlägig beantworteten Anfragen nach einer Rückkehr ins Cockpit werden zur Routine, der Wodkakonsum nimmt zu, die Ehe zerbricht. Das offensichtliche Sabotieren eines Schießbefehls hat eine Abmahnung zur Folge, eine Soldatin mit drückendem Gewissen quittiert den Dienst und als der gebrochene Tommy Egan am Ende seiner eigenen Moral folgt, tötet er fast die Person, die er eigentlich schützen wollte. Immerhin fühlt er wieder etwas, und ein familiärer Hoffnungsschimmer erscheint am Horizont, allen möglichen beruflichen und justiziablen Konsequenzen zum Trotz.
Obwohl Andrew Niccol an Großproduktionen beteiligt ist (Drehbuch für “The Truman Show”, merkwürdig unpassend die Regie bei Stephenie Meyer “Seelen”-(“The Host”)-Geschwurbel), ist er kein typischer Blockbuster-Schöpfer. In seinen, meist nachdenklichen, ruhigen Filmen (“Gattaca”, “Lord Of War” und eben “Good Kill – Tod aus der Luft”) kommt es zwar zu gewaltvollen Ausbrüchen, aber überbordende Action ist nicht Niccols Metier.
Niccols Stammschauspieler Ethan Hawke spielt geradezu schlafwandlerisch einen empfindsamen, dennoch abgestumpften Menschen, der sein Leben erträgt, es aber schon lange nicht mehr bewusst wahrnimmt, geschweige denn genießt. Wodka heißt sein bester Freund, seinen tödlichen Job führt er routiniert aus, ohne zu jammern oder zu protestieren. Doch man merkt, dass es hinter dem wie betäubt wirkenden Antlitz (das kriegt Hawke super hin) brodelt, und sich Auflehnung in unerwarteten, kleinen, heftigen Gewaltausbrüchen ihren Weg bahnt, bevor der der endgültige Ausstieg geschieht.
Niccol bleibt dabei dezent, dicht an seiner Hauptfigur dran. Kein berserkerhafter Amoklauf, sondern ein alkoholisierter Arbeitstag, ein kurzes Zögern bei der Sympathiebekundung einer attraktiven Kollegin, das Verschonen einer Zielperson, um deren unschuldige Begleiter zu beschützen und schließlich eine fast fatale Aktion aus einem Gewissenentscheid heraus.
Nichts spektakuläres, wenig spekulatives, leiser ziviler Ungehorsam in militärischer Position. Manchmal etwas zu offensiv schwankend zwischen Sentiment und Thesenfilm. Diese (wenigen) Sequenzen werden aber gerettet durch ein starkes Schauspielerensemble, das neben Ethan Hawke, unter anderem aus January Jones als Tom Egans Ehefrau, Chloe Kravitz (der Lisa Bonet und dem Lenny ihre Tochter) und dem fabelhaften Bruce Greenwood (ein Platz im Herzen bereits wegen “Nowhere Man” Thomas Veil und seiner Arbeit mit Atom Egoyan) besteht.
January Jones spielt eine Variation ihrer “Mad Men”-Rolle als vernachlässigte Ehefrau. Das kann sie gut (und viel mehr wie etwa ihre Beteiligung an “X-Men: Erste Entscheidung” oder der Western “Sweetwater – Rache ist süß” belegt). Ihr und Ethan Hawke gehört auch die eindrücklichste Szene des Films, ein kurzzeitiges Erwachen aus Tommy Egans scheinbarer Lethargie. Er erzählt seiner Gattin von seinem Arbeitstag, während dem er auf Geheiß der Stimme aus Langley (die im Original immerhin Peter Coyote gehört), einen Terroristen in seinem Haus ausschaltete, obwohl sich seine Familie ebenfalls dort befand. Als nach der Detonation die Überreste der Getöteten geborgen und schnell zur Beerdigung befördert werden, bleibt die Drohne im Überwachungsmodus. Um beim anschließenden Begräbnis die Trauergesellschaft komplett auszurotten.
Hier, wie auch in den grafisch gezeigten Exekutionen, wahrt der Film Abstand, weshalb die Kälte und Barbarei des Tötens auf Distanz und Knopfdruck umso schneidender ist. Jones und Hawke tragen die Szene gekonnt, ohne dass sich Pathos und beschwichtigendes Betroffenheitssäuseln breit machen.
Bruce Greenwood, der als Egans Vorgesetzter Lieutenant Colonel Jack Johns, ein Militär alter Schule unter neuen Kampfbedingungen, der mitunter ziemlich thesenhaft monologisieren muss, gehören weitere große Momente des Films. Er darf Kadetten zweimal die gleiche Antrittsrede halten, die sich nur in Nuancen von sich selbst unterscheidet. Einstudierte Phrasen, garniert mit schalen Pointen und aufgesetztem ethischen Skrupel, der sich als pures Gewissens-Chloroform entlarvt. So wird die Thesenhaftigkeit signifikant; jeder, der einmal mit militärischen Institutionen zu tun hatte, weiß, dass solch auswendig gelerntes Salbadern fast normiert ist und neue Normen tatsächlich entstehen lässt, wenn man sich darauf einlässt (“Duck and Cover”… “Halbwertzeit?” – “Nach der atomaren Explosion bis fünfzig zählen, dann ist die Verstrahlung bis auf ein paar Meter Entfernung zum Explosionskrater kein Problem mehr.”). Greenwood könnte allerdings auch eine koreanische Bedienungsanleitung überzeugend interpretieren.
“Good Kill – Tod aus der Luft” funktioniert als Ensemble-Film, überzeugt aber auch visuell. Eine farbblasse, klare Fotografie, der Verzicht auf hektische Schnittfolgen betonen die somnambule Orientierungslosigkeit der Hauptfigur auf die Bilderebene. Insbesondere da als Kontrast alle abgefilmten Wege fast kerzengerade, genau kadriert und durch ihre Abgrenzungen definiert sind. Bis auf den Himmel, der Offenheit suggeriert. Bis man sich bewusst macht, dass dort die Drohnen wohnen.
Mit “Good Kill – Tod aus der Luft” erweist sich Andrew Niccol einmal mehr als hochinteressanter, zeitaktueller Filmemacher, der den Verlust der Menschlichkeit filmisch aufarbeitet, ohne dogmatische Pamphlete zu inszenieren. Ebenso fremd sind ihm vordergründige Exzesse; es braucht ein bisschen Geduld und Interesse am Sujet, was leicht fällt, denn man wird mit einer tragfähigen Geschichte, eindrücklichen Bildern und Tönen sowie soliden bis exzellenten schauspielerischen Leistungen belohnt. Sehr bedauerlich, dass es Filme wie “Good Kill – Tod aus der Luft” hierzulande kaum mehr in die Kinos schaffen. Inhaltlich wie formal wäre es hochverdient. Stattdessen “Kartoffelsalat”.
Die letzten Worte gehen unweigerlich an David Bowie:
Ashes to ashes, funk to funky / We know Major Tom’s a junkie
Strung out in heaven’s high / Hitting an all-time low.
Zentrale Sätze: “Wir leben den Traum, Tommy!”
“Jetzt ist der Krieg ein First-Person-Shooter.”
Cover und Fotos © Ascot Elite
- Titel: Good Kill – Tod aus der Luft
- Originaltitel: Good Kill
- Produktionsland und -jahr: USA 2014
- Genre:
Anti-Kriegsfilm, Drama
- Erschienen: 09.06.2015
- Label: Ascot Elite Home Entertainment
- Spielzeit:
99 Minuten auf 1 DVD
103 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Ethan Hawke
January Jones
Chloe Kravitz
Bruce Greenwood
- Regie: Andrew Niccol
- Drehbuch:
Andrew Niccol
- Kamera: Amir Mokri
- Musik: Christophe Beck
- Extras:
Originaltrailer, Behind the Scenes, Trailershow - Technische Details (DVD)
Video: 2.39:1 / 16:9
Sprachen/Ton: Deutsch, Dolby Digital 5.1, Englisch, Dolby Digital 5.1
Untertitel: Deutsch
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2.39:1 / 16:9 – 1080 / 24p HD
Sprachen/Ton: Deutsch, DTS-HD Master Audio 5.1, Englisch, DTS-HD Master Audio 5.1
Untertitel: Deutsch
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Filminfos und Erwerbsmöglichkeiten @ Ascot Elite
Wertung: 11/15 dpt
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