Stefan Fischer (Hrsg.) – Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk (Buch)


Stefan Fischer (Hrsg.) - Hieronymus Bosch. Das vollstaendige Werk (Cover © TASCHEN Verlag)Die Visionen und Kompositionen von Hieronymus Bosch präsentieren Ausgeburten des Grotesken. In sonderbaren Atmosphären zeigen sich allegorisierte Hybridwesen, die mit ihren ungewöhnlichen Gliedmaßen und Proportionen surreal und verstörend anmuten. So sind etwa fremdartige Mischwesen aus Tier, Pflanze und Mensch wie vogel- und fischähnliche, menschenverschlingende Kreaturen, Baumwesen oder Menschen ohne Torso, einige von ihnen als bloßer, mit Klauen und reptilienartigem Schwanz ausgestatteter Kopf in Boschs Bildern geradezu selbstverständlich. Boschs Gemälde erzählen von Laster und Tugend, vom Kampf zwischen Gut und Böse, von Himmel, Erde und Hölle. Sie zeigen alptraumhafte Szenarien in düsteren Welten mit bedrohlichem, vor allem aber rätselhaftem und letztlich aufgrund all dieser Eigenheiten faszinierendem Charakter. Boschs Kunst ist von zeitloser Wirkung und zieht seine Betrachter heute noch genauso in seinen Bann wie damals vor 500 Jahren.

Die Präzision und Detailliertheit, mit der seine Höllenwelten konstruiert sind, veranlassen dabei nicht nur zur Bewunderung seiner Vorstellungskraft sowie Umsetzungsfähigkeit, sondern auch zur Neugier über die Person Bosch selbst. Wie finster muss der Geist, dem derartige Ideen und Bilder entspringen, bloß sein? Die Antwort ist ernüchternd, vermutlich sogar enttäuschend, denn scheinbar muss der Geist dies gar nicht sein.

Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk
Der Garten der Lüste, um 1503
© Museo Nacional del Prado, Madrid/TASCHEN

Kunsthistoriker und Bosch-Forscher Stefan Fischer liefert in dieser Monographie nicht nur diese erhellende Erkenntnis, indem er einen umfassenden Versuch einer biographischen Rekonstruktion des niederländischen Künstlers, der von 1450 bis 1516 gelebt haben soll, unternimmt. Die spannendsten Antworten erhält der Leser in Bezug auf die ihm höchstwahrscheinlich längst bekannten Kunstwerke Boschs. Die Tatsache, dass die Forschung bislang nichts wirklich Aufregendes oder Düsteres, oder gar Konkretes über Boschs Leben hat erfahren können, tut dieser Monographie folglich nicht den geringsten Abbruch. Denn der wesentliche Teil der Bosch-Monographie, welche der TASCHEN-Verlag anlässlich des 500. Todestages von Hieronymus Bosch als vergleichsweise preiswerte Neuausgabe der opulenten und bereits 2013 erschienenen Erstausgabe nun unter dem Titel “Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk” veröffentlicht hat, setzt sich aus höchst informativen Bildanalysen zusammen. In diesen liegt zweifelsohne die größte Stärke des Buches. Gleichzeitig wird gerade an ihnen auch der große Schwachpunkt der Monographie ersichtlich.

Rund 20 Gemälde und acht Zeichnungen werden heute noch zum Gesamtwerk Boschs gezählt. Drei dieser Gemälde stellt Fischer ins Zentrum seiner Betrachtung: „Die Versuchung des heiligen Antonius“, „Der Garten der Lüste“ und „Das jüngste Gericht“. Höchst akribisch fasst er jedes noch so kleine Detail der einzelnen Gemälde ins Auge. Die großformatigen Gemälde werden dazu in Detailvergrößerungen zerteilt, so dass auch die zahlreichen, im Verborgenen liegenden, Details nicht nur sichtbar werden, sondern auch im Moment der Betrachtung als ganzseitige Reproduktionen in den Fokus rücken und selbst das kleinste Detail im Detail sichtbar wird. Szene für Szene widmet sich Fischer so ganzheitlich den einzelnen Werken, ergründet sie in ihrer Komplexität und Multilateralität, erfasst jede Eingebung des Bosch’schen Erfindungsgeistes, der die Bildfläche seiner Werke bis ins Mikroskopische ausfüllt – wie Fischer es treffend formuliert.

Allegorien, Symbole und biblische Anspielungen sowie inszenierte Redewendungen werden entschlüsselt und im Gesamtkontext verschiedenartig interpretiert. Die sonderbaren Geschöpfe werden in ihrer Beschaffenheit bis ins kleinste Detail symbolisch begründet. Ein allegorisierter Teufel, der auf den ersten Blick kaum als solcher zu identifizieren ist, wird so etwa vom Gesichtsausdruck, über die einzelnen Gliedmaßen bis hin zu den Utensilien mit denen er ausgestattet ist analysiert und erklärt. Der Leser erfährt außerdem nicht nur an dieser Stelle von gestalterischen Eigenheiten und materiell-technischen Verfahrensweisen Boschs. Der Personalstil Boschs steht in der gesamten Monographie ebenso deutlich im Fokus wie Entwicklungsfragen seiner Kunst und die Begründung immer wiederkehrender Motive und Themen in seinen Werken. Auch der Frage wie sein Erfolg überhaupt in solchem Ausmaß zustande kommen konnte, geht Fischer nach. Schließlich gilt Bosch als der Ausnahmekünstler seiner Zeit.

Die Reichhaltigkeit von Boschs Bildern macht ihre Analyse und Bewertung sicherlich zu einem nahezu unerschöpflichen Unterfangen. Gleichzeitig scheint die Auseinandersetzung mit seinen Werken gerade deshalb niemals langweilig zu werden. Ein gewisser Überdruss stellt sich bei der Lektüre dieser Monographie leider dennoch, wenn auch aus ganz anderen Gründen, ein.

Hieronymus Bosch Buchscan © TASCHENDie Text-Bild-Anordnung ist durchweg meist unglücklich gewählt. Präzise Symbolerklärungen und Bildanalysen stehen so nicht nur oft nicht parallel zu dem entsprechenden Bild bzw. Detail, es trennen sie zumeist sogar Seiten im zweistelligen Bereich. Selbiges gilt für Bildunterschriften. Dies erschwert es ungemein dieses im Grunde doch so aufwendig und mühevoll gestaltete Werk als Ganzes zu genießen. Denn möchte der Leser den Blick zwischen Text- und entsprechender Bildstelle nur kurz hin und her schweifen lassen, wird er enttäuscht und gezwungen seine Konzentration gänzlich zu unterbrechen, um blätternd zum Text das passende Bild zu suchen. Dieser Umstand lässt den zentralen Analyseteil damit leider zu einer sehr anstrengenden Lese- und Betrachtungserfahrung werden.

Dass das Detail dem Gesamtbild zudem in den meisten Fällen vorangestellt wird, wohlbemerkt zunächst immer ohne Betitelung, macht die Zuordnung sowie die Verortung im Gesamtbild, selbst bei bekannten Gemälden, nicht gerade leicht. Da sich während der Analyse außerdem nicht selten abwechselnd auf das Detail und auf seine Verortung im Gesamtkunstwerk bezogen wird, wäre natürlich nicht nur die umgekehrte Anordnung von Detail und Gesamtbild wünschenswert, sondern unter Umständen auch, gerade bei mehreren aufeinanderfolgenden Detailabbildungen, die sich über Seiten erstrecken, eine Miniaturabbildung des Gesamtbildes als Gedächtnisstütze und zur leichteren Verortung der jeweiligen Details im Gesamtkunstwerk. Denn gerade bei so vielschichtigen und komplexen Bildern wie denen Boschs ist es nicht einfach, das große Ganze stets vor dem inneren Auge zu behalten. Beachtet man zudem, dass teilweise ganze Blankoseiten neben ganzseitigen Detailvergrößerungen belassen wurden, wird die Rechtfertigung derartiger Defizite nicht ersichtlich. Es scheint sich hier generell eine gewisse Achtlosigkeit eingeschlichen zu haben. So wird der Textfluss etwa an einer Stelle plötzlich mitten im Satz durch seitenlange Gemäldeabbildungen unterbrochen und auch bei doppelseitigen Abbildungen wurde nicht berücksichtigt, dass zentrale Bildstellen durch die Falte der Buchmitte verschlungen werden und somit die Gesamtsicht gestört und der Sinn der Sache verfehlt wird.

Die Bosch-Monographie ist summa summarum wohl primär etwas für wahrhaftige Bosch-Begeisterte, die im Idealfall die einzelnen Bilder längst sehr gut kennen und ihr Wissen über den Künstler sowie sein Werk vertiefen wollen und von dieser Wissbegierde geleitet auch eine etwas umständliche und anstrengende Lektüre nicht scheuen.

Cover & Buchseitenscan © TASCHEN Verlag

  • Autor: Stefan Fischer (Hrsg.)
  • Titel: Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk
  • Verlag: TASCHEN
  • Erschienen: 2016
  • Einband: Hardcover mit Ausklappseite
  • Seiten: 300
  • ISBN: 978-3-8365-3831-2
  • Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: keine


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