Andreas Kollender – Mr. Crane (Buch)


Die letzten Tage des vergessenen Genies

Im Alter von 22 Jahren schrieb Stephen Crane “The Red Badge of Courage” (aktuell in neuer Übersetzung unter “Die rote Tapferkeitsmedaille” bei Pendragon veröffentlicht) und machte sich damit unsterblich. Hierin schildert er erstmals die Geschehnisse des Krieges aus der Sicht eines einfachen Soldaten; rund vier Jahrzehnte später wird Erich Maria Remarque mit “Im Westen nichts Neues” mit gleichem Thema ebenfalls Literaturgeschichte schreiben. Auch Cranes Kurzerzählungen fehlen heute in kaum einer klassischen Sammlung; allerdings nur in seinem Heimatland Amerika, wo er an vielen Schulen und Universitäten zur Pflichtlektüre gehört. Schriftsteller wie Joseph Conrad und Ernest Hemingway zählen zu seinen großen Bewunderern. Stephen Crane starb 1900 im Alter von 28 Jahren an Tuberkulose in einem Sanatorium in Badenweiler. Von seinen letzten Tagen erzählt Andreas Kollender in “Mr. Crane”.

“Aber braucht man Vorbilder, Schwester Elisabeth? Um etwas zu schreiben? Um sich etwas auszudenken? Um durch dieses gottverdammte, wunderschöne Leben zu kommen? Muss man dafür irgendwas gesehen haben?”

Am 25. September 1914 wird Schwester Elisabeth an die wohl wichtigsten acht Tage in ihrem Leben erinnert. Leutnant Bernhard Fischer, soeben eingeliefert mit zwei Lungendurchschüssen, vermisst sein Buch aus seinem Gepäck. Es handelt sich um die Originalausgabe von “The Red Badge of Courage”, dessen Autor, der große Stephen Crane, vierzehn Jahre zuvor in demselben Zimmer lag. Er war die erste und letzte große Liebe von Schwester Elisabeth, die damals verheiratet und fünfundzwanzig Jahre jung war. Jetzt kümmert sich Elisabeth aufopferungsvoll um Fischer, der als geistig verwirrt gilt, was auf die Erlebnisse an der Front zurückgeführt wird. Doch bald kommen dem Oberarzt erste Zweifel, ob seine Verletzungen und sein Geisteszustand nicht nur vorgespielt sind. Dabei wird an der Front jeder Mann gebraucht. Eisabeth erinnert sich an ihre Tage mit Crane und möchte, dass auch Fischer noch eine Gelegenheit erhält, die Liebe seines Lebens kennen zu lernen.

28. Mai 1900. Crane leidet an Tuberkulose und soll sich in Badenweiler bei der guten Luft des Schwarzwaldes erholen. Doch Dr. Fraenkel, mit Mitte dreißig einer der führenden Lungenärzte Europas, hat kaum noch Hoffnung. Da Schwester Elisabeth eine Tante in Amerika hat und fließend englisch spricht, wird sie mit der Fürsorge des berühmten Patienten beauftragt. Elisabeth hat alle Bücher Cranes gelesen und glaubt sogar, dass er ein Buch übe sie selbst geschrieben hat, obwohl sich die Beiden hier zum ersten Mal begegnen. Elisabeths linke Gesichtshälfte ist nach einem Feuer im elterlichen Haus entstellt; einem brennendem Balken konnte sie nicht mehr ausweichen. In Cranes Geschichte “The Monster” geht es um einen Mann, der einen jungen aus dem Feuer befreit und dabei erhebliche Verletzungen erhält, die ihn wie ein Ungetüm aussehen lassen. Man meidet ihn aus angst oder hat nur Spott für ihn übrig.

Vom ersten Moment an fühlen sich Crane und Elisabeth zueinander hingezogen und Crane erzählt ihr in seinen letzten acht Tagen viele Abenteuer, die er selber erlebt hat. Ob diese wirklich stimmen, wird Elisabeth nie erfahren, dafür lernt sie, was es heißt, wirklich geliebt zu werden.

Keine Biografie, keine Liebesschmonzette

Bisher widmete sich Andreas Kollender spannenden historischen Persönlichkeiten, die zumindest ursprünglich aus Deutschland stammten Großartig sind seine Bücher “Kolbe” und “Libertys Lächeln”. In seinem aktuellen Werk “Mr. Crane” konzentriert sich Kollender auf die letzten acht Tage im Leben des Journalisten und Schriftstellers Stephen Crane und erzählt dessen Geschichte parallel zu den acht Tagen des Aufenthaltes von Bernhard Fischer, die vierzehn Jahre später stattfinden. Elisabeth, die eigentliche Hauptfigur, hat Cranes Bestseller “The Red Badge of Courage” gelesen und kann sich vorstellen, was Fischer im Krieg an der Front erlebt hat. Das Schicksal des Henry Fleming, der Hautfigur aus “The Red Badge of Courage” in Erinnerung, will Elisabeth Fischer helfen, nicht zurück an die Front zu müssen. Weg von dem ganzen Irrsinn, wobei wir wieder im Jahr 1900 wären, denn was Crane an Geschichten zu erzählen hat geht ebenfalls wirr durcheinander. Mexiko, Griechenland, Kuba, ein Prozess in Amerika wegen einer Prostituierten, bei dem auch der damalige Polizeichef Roosevelt involviert ist. Was ist wahr, was halluziniert? Wahr sind die Gefühle, die Elisabeth für Crane empfindet, woraufhin sie sich in eine wilde Romanze stürzt. Ganz anders als bei ihrem Ehemann, der sie wegen ihres Gesichtes gar nicht erst anfasst, kennt Crane, den Tod vor Augen, keine Hemmungen, und schafft es somit, Elisabeth aus den starren Wertezwängen ihrer zeit hinauszuzerren.

“Ich bin zum ersten Mal in Badenweiler, recht hübsch. Ist Anton Tschechow nicht auch hier gewesen?”
“Doch, doch. Und Stephen Crane.”
“Wer ist Stephen Crane? Nun, wie auch immer. Haben Sie Tschechow mal gesehen?
“Ich habe schon in Badenweiler gearbeitet, als er hier war.”
“Das war bestimmt sehr beeindruckend, nicht wahr? Auch wenn er aus einem Land kommt, dem wir jetzt feindlich und siegreich gegenüberstehen. Haben Sie in Frontnähe gearbeitet?”
“Nein, warum?”
“Nun, ich dachte…”
“Tschechow hat mich angesehen, und dann ist er gestorben.”
“Wie bitte?”

Kollender spinnt in “Mr. Crane” ein feines Garn, verwebt dabei die tatsächlichen Eigenschaften von Stephen Crane mit einer fiktiven Liebesgeschichte, die wiederum Folgen für den ebenfalls fiktiven Aufenthalt von Leutnant Fischer haben wird. Dabei finden sich auch immer wieder verweise auf die erwähnten “The Red Badge of Courage” und “The Monster”. Wer mehr über den Lebenslauf von Stephen Crane erfahren möchte, der darf zudem gerne die eingangs erwähnte Neuveröffentlichung erwerben. Darin enthalten ist im Anhang unter anderem ein ausführliches Portrait über den “James Dean der amerikanischen Literatur”.

Cover © Pendragon Verlag

Wertung: 12/15 dpt


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