Mechthild Borrmann – Feldpost (Buch)


Feldpost
© Droemer

Mechthild Borrmann – Feldpost (Buch)

Fesselnde wie tragische Liebesgeschichte

Kassel. 1935. Gerhard Kuhn leitet eine Spedition und weigert sich alle seine LKW für zwei Wochen für den Deutschen Reichskriegertag abzustellen, schließlich gilt es, vereinbarte Lieferaufträge zu erfüllen. Unter dem Vorwand der Sabotage wird er verhaftet, zumal er sich wiederholt kritisch über die neuen Machthaber geäußert hat. Zu oft und vor allem zu laut. Zwei Jahre muss er ins Gefängnis, seine Firma und – noch schlimmer – sein Firmenvermögen werden beschlagnahmt. Ehefrau Katharina ist gesundheitlich schwer angeschlagen, Sohn Albert soll seinen Schulabschluss machen und so bleibt nur Tochter Adele übrig, ein bisschen Geld zu verdienen.

Helfen könnte Hermann Martens, einflussreicher Stadtrat und Gründungsmitglied der NSDAP. Seit langer Zeit sind die Familien befreundet, verbrachten Urlaube zusammen. Martens Kinder Dietlind und Richard gehen in dieselbe Schule wie die Kinder der Kuhns. Doch seit der Machtergreifung geht man zunehmend getrennte Wege und seit Gerhards Verhaftung will man erst recht nicht mehr gemeinsam gesehen werden. Was sollen die Nachbarn denken? Allein Martin versucht Kontakt zu halten, da er seine große Liebe gefunden hat.

Kassel. Dezember 2000. Anwältin Cara Russo gießt den Beginn der Weihnachtsferien in einem Café. Plötzlich setzt sich eine ältere Dame zu ihr und bemerkt, dass Adele verschwunden sei und hinterlässt der verdutzt dreinblickenden Cara völlig unvorbereitet eine alte Aktentasche. Die Dame ist weg, die Tasche noch da und Caras Neugier siegt. Zuhause entdeckt sie alte Feldpostbriefe, die ein Richard an A. geschrieben hat. Wundervolle Liebesbriefe. Dann gelingt es ihr, Richard Martens ausfindig zu machen. Nicht ahnend, dass damit längst verheilt geglaubte Wunden wieder aufreißen. Richard wurde damals erzählt, dass Albert im Krieg in einer Jagdhütte verbrannt sei und dass dieser die Briefe immer bei sich hatte. Dies kann aber nicht stimmen, denn dann wären die Briefe ja folglich mitverbrannt. Und sind die Kuhns wirklich nach Südamerika ausgewandert, wie immer behauptet wurde?

Wenn die Welt aus den Fugen gerät

Wer die einleitende Inhaltsangabe, die bewusst grob gehalten ist, aufmerksam gelesen hat, wird bemerkt haben, dass nicht Adele, sondern Albert der Empfänger der Liebesbriefe war. Eine homosexuelle Freundschaft im Dritten Reich? Dass kann kein gutes Ende nehmen, doch was geschah damals wirklich? In ihrem neuen Roman „Feldpost“ schreibt Bestsellerautorin Mechthild Borrmann erneut eine überaus packende, zeithistorische Geschichte. Über eine Liebe, die verboten ist, über Lüge, Verrat, Schuld, Sühne und eine Flucht, bei der es nur ums Überleben geht.

Die Geschichte spielt auf mehreren Erzählebenen und pendelt von der Gegenwart (gemeint sind die Jahre 2000 und 2001) zu den Jahren von 1935 bis 1945. Die Handlung basiert auf wahren Begebenheiten, welche die Autorin im Tagebuch-Archiv Emmendingen gefunden hat. Es ist die tragische Geschichte einer unmöglichen Liebe, denn auf Homosexualität – ein Verstoß gegen den berüchtigten Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches – steht eine lange Haftstrafe. Zudem ist es die Geschichte einer langen Flucht, denn Gerhard und Katharina fliehen am 7. Januar 1938 nach Bergerac in Frankreich, wo sie bei Freunden unterkommen. Es fehlte nicht viel, denn wenige Tage später gab es einen neuen Haftbefehl für Gerhard. Mit dem Kriegsbeginn und dem späteren Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich wird klar, dass eine erneute Flucht ansteht. Jedoch geht es nicht nach Südamerika, wie man Richard Mertens später erzählen wird, sondern über Spanien nach Portugal. Dem in Bordeaux unermüdlich arbeitenden portugiesischen Konsul Sousa Mendes sei Dank. Adele arbeitet derweil in einer Fabrik für die Rüstungsindustrie bevor sie später, nach einem verheerenden Bombenangriff, der weite Teile der Stadt Kassel zerstören wird, auf einem Bauernhof stranden wird. Dort wird eine polnische Zwangsarbeiterin schwanger, ein weiterer tragischer Abgrund tut sich auf.

Zu den bedrückenden Geschehnissen soll hier nichts weiter vorweggenommen werden. Borrmann beschreibt brillant, wie in einem totalitären Regime die feste Freundschaft zwischen zwei Familien zerbricht. Die Auswirkungen schallen bis in die Gegenwart, denn Richard hat Albert nie vergessen, wenngleich er seit sechsundvierzig Jahren glücklich mit Frieda verheiratet ist. Es gibt zahlreiche Überraschungen und Wendungen, womit aus „Feldpost“ zwar kein Krimi wird, gleichwohl aber so spannend wie ein Krimi zu lesen ist. Nach „Trümmerkind“ und „Grenzgänger“ ein weiteres Highlight, welches Bezug auf den fortdauernden Schrecken des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges nimmt. Zarte Glücksgefühle und abgrundtiefe Tragik liegen einmal mehr eng beisammen.

Auf booknerds ebenfalls rezensiert: „Die andere Hälfte der Hoffnung“ von Mechthild Borrmann. Hier finden Sie Rezensionen zu „Trümmerkind“ und „Grenzgänger“. Eine weitere Empfehlung: „Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt“ von Dagmar Fohl, eine Romanbiografie über Sousa Mendes.

  • Autorin: Mechthild Borrmann
  • Titel: Feldpost
  • Verlag: Droemer
  • Umfang: 304 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: November 2022
  • ISBN: 978-3-426-28180-2
  • Produktseite


Wertung: 12/15 dpt


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