Autorinnen im Porträt: Elfriede Jelinek – die Verunglimpfte


Booknerds meets Autorinnen im Portrait

Der Literaturpodcast „Autorinnen im Porträt“ rückt in jeder Episode eine Schriftstellerin in den Fokus. Dabei schauen wir auf das Leben der Autorin und auf ihr Werk. Wer wir sind? Mariann Gáborfi und Sarah Teicher aus Leipzig. Wir sind auch Redakteurinnen bei Booknerds.de und haben deshalb beschlossen, zu dem im März 2022 gegründeten Podcast eine begleitende Kolumne zu schreiben. (Alle Folgen der Kolumne im Überblick.)

In der aktuellen Kolumne möchten wir euch eine Autorin vorstellen, die polarisiert wie kaum eine andere. Und dabei wurde ihr 2004 die höchste Auszeichnung für Literatur verliehen, der Nobelpreis – wie passt das zusammen? Das und mehr haben wir uns in der (noch ganz frischen) Februarfolge von “Autorinnen im Porträt” gefragt. Weiter unten findet ihr die komplette Podcastfolge zum Anhören.

Die Österreicherin Elfriede Jelinek wurde 1946 in der Steiermark als Kind einer katholischen Mutter und eines tschechisch-jüdischen Vaters geboren. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt von katholischer Erziehung in einer Klosterschule sowie von der psychischen Erkrankung des Vaters, zu dem Elfriede bis zu seinem Tod keine engere Bindung aufbauen konnte. Sie studierte am Wiener Konservatorium unter anderem Klavier und Komposition – neben der normalen Schulausbildung ein Fulltimejob. Auf Bitten der Lehrkräfte, Elfriede doch etwas zu schonen, reagierte ihre Mutter mit tauben Ohren. 1971 beschloss sie ihr Studium als diplomierte Organistin.

Parallelen zu ihrem professionellen, musikalischen Hintergrund finden sich in ihrem 1983 erschienenen Roman “Die Klavierspielerin” wieder. Die Protagonisten Erika Kohut lebt gemeinsam mit ihrer Mutter, die komplett über ihr Leben herrscht, in Wien und arbeitet als Klavierlehrerin am Konservatorium. Erzählt werden Episoden aus ihre Kindheit, in der sie nie Kind sein durfte sowie aktuelle, bizarre Ereignisse in ihrem heutigen Leben als Frau Mitte Dreißig. Ihre geschundene Seele wird nach und nach bloßgelegt, selbstzerstörerisches Verhalten kommt zutage und sexuelle Gewalt(fantasie) wird ein Thema, als ihr Klavierschüler Walter Klemmer beginnt, Erika Avancen zu machen …

Mariann und ich erwähnen es mehrfach im Podcast: Dieses Buch ist (auch heute noch) nichts für zarte Gemüter. Es verfolgt einen noch lange, nach dem man es zugeklappt hat – so viel sei gesagt. Elfriede Jelinek beeindruckt sprachlich derart mit drastischen Bildern, Vergleichen und dem sich seitenlang in Details verlieren, dass das Leseverhalten zwischen “Ich muss das Buch weglegen” und “Ich kann das Buch nicht weglegen” schwankt.

In der Podcastfolge von “Autorinnen im Porträt” reden wir über “Die Klavierspielerin”, aber auch über das Leben von Elfriede Jelinek.
Hier findet ihr die Folge bei Podigee.

In der Rezeption des Romans allerdings Schlüsse auf Jelineks Charakter zu ziehen, ist ein Fehler, der viel zu oft begangen wurde. Und dabei sollte uns doch schon der Deutschunterricht in der Schule gelehrt haben, dass Erzählinstanz und Autor*in zwei Paar Schuhe sind …
Neben gehaltvollen und als provokant aufgefassten Romanen, sorgt Jelinek mit unverblümten Theaterstücken für Aufsehen und Skandale: Ihre Stücke wühlen auf, kritisieren und hinterfragen. Thematisiert wird neben Gewalt an Frauen beispielsweise auch Entnazifizierung und die Verschleierung vergangener Taten. Darüber hinaus beschäftigt sich ihr Werk mit Kritik am Kapitalismus, sprich am Tourismus und der damit einhergehenden Ausbeutung der Natur. In ihrem Heimatland eckt sie damit an, wird als “Nestbeschmutzerin” beschimpft und zieht sich zeitweise völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Als ihr 2004 der Nobelpreis für Literatur verliehen wird, kann sie aufgrund einer Angststörung, an der sie seit ihrer Jugend immer wieder leidet, nicht persönlich nach Schweden reisen. Auch das wird ihr vorgeworfen und sorgt dafür, dass sie weiterhin zurückgezogen lebt. Auf ihr Arbeitsverhalten scheint dies allerdings keinen Einfluss zu nehmen: Elfriede Jelinek bleibt weiterhin äußerst produktiv!

Sehr empfehlenswert ist der Dokumentarfilm von Claudia Müller, der 2022 in den Kinos lief: “Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen” lässt die unglaublich produktive, intelligente und talentierte Autorin selbst zu Wort kommen und zeigt ausgewähltes Archivmaterial, das unter die Haut geht.

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Wir hoffen, dass wir euch die für viele kontrovers anmutende Elfriede Jelinek etwas näher bringen konnten und ihr vielleicht mal das ein oder andere Buch von ihr zu Hand nehmt. Weitere Informationen und Literaturtipps findet ihr übrigens in den Shownotes (Episodeninformation) unseres Podcasts, in denen wir euch jedes Mal unsere Quellen nennen.

Wir freuen uns immer über euer Feedback auf Instagram oder Facebook. Schreibt uns! Und vielleicht treffen wir uns ja auf der diesjährigen Buchmesse in Leipzig. 🙂

Bis bald und viele Frühlingsgrüße

eure Sarah


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