Amélie Nothomb – Ambivalenz (Buch)


Nachdem ihn die Geliebte abserviert hat, hat Claude nur noch den einen Gedanken, sich zu rächen. Skrupellos instrumentalisiert er für seine Obsession das Leben von Dominique, die er zu seiner Frau macht, und später auch das der gemeinsamen Tochter Epicène.

Nothomb zeigt in ihrem Roman „Ambivalenz“, was sie am besten kann: Ihre Leserschaft auf wenig Raum gradlinig und unterhaltsam durch eine vielschichtige Handlung führen. Für ihr generationenübergreifendes Familiendrama um Rache und große Lebenslügen verwendet sie nur 128 Seiten.

Die belgische Autorin serviert uns große Leidenschaften als Hochkonzentrat. Verlust, Trauer, Liebe und Hass definieren das Sein und Tun ihrer Protagonist:innen. Obwohl die Beziehungen untereinander kompliziert sind, sorgt Nothomb für eine klare Linie.

Dafür werden auch schon mal große Zeiträume übersprungen, um sich ganz auf die dramatischen Knotenpunkte im Plot zu konzentrieren. Dass dabei kein Raum entstehen kann, um eine ausführliche Entwicklung der Charaktere zu inszenieren, ist klar. Nothomb kompensiert dies teilweise durch Einsatz zahlreicher Dialoge, die ihren Figuren Lebendigkeit und Authentizität verleihen.

Trotz enormer Themenfülle ist die Handlung übersichtlich komponiert. Dies gelingt der Autorin dank ihrer eleganten aufs Wesentliche reduzierten Sprache. Nothomb ist keine Autorin, die alles auserzählt. Stattdessen setzt sie die von ihr perfekt platzierten Assoziationen wie Schlüssel ein, um die Vorstellungsräume ihrer Leser:innen zu öffnen.

Überraschend viele Themen schneidet sie in ihrem schmalen Roman an, die zur gesellschaftskritischen Betrachtung einladen. Die toxische Beziehung, die Dominique mit Claude eingeht, lenkt einen hinterfragenden Blick auf die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern, die eine strukturelle Benachteiligung der Frau impliziert. Auch das Männlichkeitsbild Claudes ist absolut toxisch. Es wird durch ein tradiertes männliches Selbstverständnis gefördert, bei dem ein Mann bestimmte Klischees erfüllen muss, um anerkannt zu sein.

Nothomb unterscheidet deutlich zwischen männlicher und weiblicher Reaktion auf Enttäuschungen und seelische Verletzungen, wobei sie der jüngeren Generation, repräsentiert durch die Tochter, ein großeres Selbstbewusstsein und eine stärkere Resilienz einräumt.

Die Handlung wird getragen durch die durchgängig glaubwürdig gezeichneten Figuren, die Nothomb bis zur letzten Seite konsequent handeln lässt.

Fans der belgischen Kultautorin kommen bei „Ambivalenz“ voll auf ihre Kosten. Nothomb punktet mit mutigen Ideen und sprachlicher Finesse (von Brigitte Große elegant vom Französischen ins Deutsche übertragen). Eine Lektüre, die dem Anspruch an einen raffiniert-gepflegten Stil und leichter Spannung gerecht wird.

  • Autorin: Amélie Nothomb
  • Titel: Ambivalenz
  • Originaltitel: Les prénoms épicènes
  • Übersetzerin: Brigitte Große
  • Verlag: Diogenes Verlag
  • Erschienen: Juni 2022
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 128 Seiten
  • ISBN: 978-3257071948

Wertung: 11/15 dpt


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