Stefanie vor Schulte – Das dünne Pferd (Roman)


“Das dünne Pferd” nimmt uns in eine düstere Zukunft mit

Die Welt versinkt im Chaos. Die Menschen haben ihre Kinder vergessen. Die Zukunft hat keine Zukunft mehr. Hinein in dieses dystopsiche Setting pflanzt Stefanie vor Schulte ihren neusten Roman. Es beginnt mit einer Flucht in einem Bus, den Krankenschwester Aria kapert, um mit fünfzehn Kindern aus einer Klinik auszubrechen. Ohne einen festen Plan, Hauptsache raus aus der Stadt und der dort drohenden Anarchie. In einem alten Haus an der Küste finden sie vorerst Schutz. Doch auch hier lauern Gefahren auf sie. Denn nicht allen gefällt es, wie sich die kleine Gemeinschaft aus Frauen und Kindern selbst organisiert.

Vor Schulte hält sich nicht damit auf, die näheren Umstände des nahenden Untergangs zu erklären. Das muss sie auch nicht. Die von ihr gezeigte Welt ist eine symbolische, ein direktes Echo täglicher Katastrophenbilder, ebenso erschreckend wie vertraut.

Heißt es nicht immer „Frauen und Kinder zuerst“, als sei diese Gruppe am verletzlichsten und brauche daher den größten Schutz? Vor Schulte macht sich nicht einmal die Mühe, diese Lüge zu entlarven. Frauen und Kinder sind diejenigen, die am gefährdesten sind. Diejenigen, die permanent der meist durch Männer repräsentierten Brutalität gegenüberstehen. Die Welt ist durch männliche Gewalt und patriarchale Machtstrukturen geprägt. Kaum ein Genre repräsentiert diese Mechanismen anschaulicher als der gute alte Western. Und so entlehnt vor Schulte für ihren Roman Western-Setting und Personal und lässt die Roadstory in eine Art Western-Szenerie münden.

Das Fluchthaus von Aria und ihrer Gruppe liegt am Rande von Einstadt. Dieses Western-Städtchen wird regiert von Imre Brandt. Seine Gefolgschaft sind die Männer Einstadts. Die Frauen haben nichts zu melden. Vor Schulte demaskiert die etablierte Hierarchie, indem sie zeigt: Brandt ist ein alter verbrauchter Mann, ausgehöhlt durch den lebenslangen Machtkampf. Denn um an der Spitze zu bleiben, muss er sich permanent beweisen und seine Gegner in Schach halten. Das System ist auf Angst und Einschüchterung aufgebaut, auf Stärke gegen Schwäche. Aria und ihre Gruppe erzeugen Misstrauen durch ihre abweichende Art zu leben. Und als sich auch noch die Frauen Einstadts mit Aria solidarisieren, wird das patriarchale Gefüge grundlegend erschütert.

Der Roman lebt durch die zahlreichen klug komponierten Szenen und pointiert gesetzten Dialoge. Vor Schulte erzeugt Bilder, die sich wie Filmszenen aneinanderreihen. Dabei wird nicht alles von ihr auserzählt. Mehr als in ihren Vorgängerromanen „Junge mit schwarzem Hahn“ und „Schlangen im Garten“ überlässt sie es ihrer Leserschaft Lücken zu schließen, Bilder zu entschlüsseln. Das macht ihren Roman deutlich weniger gefällig. Auch das Harte, Schroffe, Brutale kommt stärker zum Zug. Der Blick auf die Welt ist unbarmherzig. Aber irgendwie passt das auch. Denn die Welt ist unbarmherzig. Vor Schulte übertreibt an keiner Stelle und dass es sich trotzdem wie Übertreibung anfühlt, liegt daran, wie groß der Wunsch nach Gerechtigkeit und Harmonie in uns allen ist.

Die Poesie vor Schultes ist streng ökonomisch. Kein einziges Wort ist bei ihr überflüssig. Jeder einzelne Satz sitzt und trägt Bedeutung. Jede noch so kleine Andeutung lässt sich einem großen Muster zuordnen. „Das dünne Pferd“ ist gesellschaftskritisch, feministisch, kompromisslos und widerständig. Die Abfolge ihrer Romane lässt eine Radikalisierung erkennen, die mit „Das dünne Pferd“ einen politischen Höhepunkt einnimmt.

Ich persönlich bin jetzt schon sehr gespannt auf das nächste Buch.

  • Autorin: Stefanie vor Schulte
  • Titel: Das dünne Pferd
  • Verlag: Diogenes Verlag
  • Erschienen: August 2024
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 256 Seiten
  • ISBN: 978-3257073133

Wertung: 13/15 dpt

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