“Rot wie Schnee” ist ein klassischer Plot neu interpretiert
Seit einem halben Jahr wohnen Wanda und Felix in einem großen, abgelegenen Landhaus in der Pfalz. Zum Jahreswechsel ist die Zeit der Raunächte, jene Phase, in der die Grenzen zur Anderswelt nicht ganz so verschlossen scheinen. Jedenfalls für Wanda, die sich deshalb überlegt hat, gerade jetzt ihre Einweihungsparty zu feiern. Die Gästezahl ist überschaubar: Alfred, der langjährige Gärtner; Hannelore, die Mutter von Felix; Ulf und Kathrin, die Vorbesitzer des Anwesens, mit der elfjährigen Emma und nicht zuletzt die beste Freundin Agatha mit ihrem Begleiter Ares Rot.
Es ist eine höchst illustre Runde. Die spirituelle Wanda und ihr Verlobter Felix, der sich als klassisches Muttersöhnchen entpuppt. Alfred, der an diesem Abend noch etwas zu erledigen hat, weswegen er womöglich versteckt eine Pistole trägt. Kathrin, die untertänige Gattin sowie der leicht aufbrausende Ulf, ein von sich mehr als überzeugter Schaumschläger und zu Gewalt neigender Prolet. Auch Agatha scheint an diesem Abend ein besonderes Ziel zu verfolgen, für das sie die Hilfe von Ares benötigt. Doch der einstige Startherapeut fiel einst in Ungnade als durch sein Handeln ein junges Mädchen starb. Die damalige Partnerin verschwand, die Praxis gab er auf und fiel in ein tiefes Loch, in dem er sich emotional noch immer befindet.
Die vermeintliche Party sieht derweil ihren ersten Skandälchen entgegen und bald wird klar, dass ein Schneesturm die Heimfahrt der Gäste verhindert. Nach einem lautstarken Streit zwischen Ulf und Kathrin verschwindet plötzlich Emma, so dass eine gemeinsame Suchaktion startet. Wenig später wird ein Mitglied der Partygesellschaft ermordet aufgefunden und eines ist sicher: Die Mörderin oder der Mörder befindet sich mitten unter ihnen.
Kurzweiliger Krimispaß mit minimalen Schwächen
Der Debütroman „Rot wie Schnee“ von Tim Nicolas Zwick bietet auf den ersten Blick einen Plot, der sattsam bekannt vorkommt. Ein abgelegenes Haus, mehrere Gäste, ein Schneesturm, ein Mord, keine Fluchtmöglichkeit und der Mörder mittendrin. Man muss kein Krimiexperte sein, um zu erkennen, dass es das so schon mal gab. Allerdings lohnt die Lektüre durchaus, denn Zwick verpasst der in die Jahre gekommenen Ausgangssituation einen durchaus flotten, modernen Anstrich. Aus wechselnden Erzählperspektiven werden die Personen vorgestellt, von denen alle – Emma ausgenommen – ihr düsteres Geheimnis haben. Spannend bleibt lange Zeit die Frage, wer denn wohl das Mordopfer sein wird. Schon hier, mag mancher Leser danebenliegen.
Ares Rot ist ein seltsamer „Ermittler“, zumal er eigentlich gar keiner ist. Ein gescheiterter Therapeut, der aber nach wie vor Muster respektive Zusammenhänge erkennt und ebenso ein Meister der Deduktion ist. Notgedrungen „untersucht“ er den Fall, damit die Lage nicht weiter eskaliert und wer weiß, vielleicht steht er selber ja auf der Liste des Mörders. Der Fall spielt ausschließlich in der Gegenwart, allerdings gab es bereits ein Verbrechen in diesem Anwesen. Vor dreizehn Jahren verschwand Vanessa, die erste Tochter von Ulf und Kathrin. Man vermutete damals eine Entführung und hörte nie wieder von ihr. Spielt ihr Verschwinden eine Rolle? Was hat es mit Wandas Spiritismus auf sich? Und wer ist Merlin? Fragen über Fragen, die den Spannungsbogen zusätzlich im oberen Bereich halten.
Bleiben vereinzelte, kleinere Minuspunkte, die kurz genannt sein wollen. Dass der „Krimi aus der Pfalz“ (Buchcover) dort spielt, erkennt man nahezu ausschließlich an den Polizisten, die zunächst in mehreren Telefonaten Dialekt sprechen und den Eingeschlossenen erklären, dass sie wegen des Unwetters nichts machen können. Klar, wenn die Partygäste aufgrund des Schneesturms vom Grundstück nicht wegkommen, können die Polizisten nicht hinfahren. Wäre da nur nicht der unerschrockene Taxifahrer namens Andi, der das Herrenhaus mit seinem Auto nahezu problemlos erreicht. Auch an anderer Stelle werden die Gesetze der Logik auf die Probe gestellt, aber sei’s drum. Es ist ein Roman, da darf man mal ein Auge zudrücken. Oder zwei. Zum Finale hat sich der Autor noch eine schöne Pointe ausgedacht und dass der Roman als Serienauftakt beworben wird, sollte ebenfalls ein gutes Zeichen sein. Jedenfalls möchte man „Privatdetektiv Ares Rot“ wiedersehen.
- Autor: Tim Nicolas Zwick
- Titel: Rot wie Schnee
- Verlag: KBV
- Umfang: 300 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Oktober 2024
- ISBN: 978-3-95441-704-9
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Wertung: 11/15 dpt