
Die Geschichte seiner Urgroßmutter nahm Autor Daniel Stögerer zum Ausgangspunkt seines Romans „Luzia: Kindheit zwischen zwei Kriegen“. Auf ca. 130 Seiten skizziert er eindrucksvoll das harte Leben eines Kindes, das unter denkbar schwierigen Bedingungen aufwächst.
Armut, gesellschaftliche Ausgrenzung und Unruhen bestimmen Luzias Leben im Wien der zwanziger Jahre. Luzia hält ihre leibliche Mutter anfangs für verstorben. Erst nach und nach erfährt sie, dass diese ledig ist, in in einem Hotel außerhalb von Wien arbeitet und sich daher nicht um sie kümmern kann. In den Augen der Gesellschaft ist Luzia ein Bastard, ihre Geburt der Beweis eines Fehltritts der Mutter. So wächst Luzia in der Obhut einer Ziehmutter auf, Frau Tóth, die ihren heimlichen Lebensunterhalt als „Engelsmacherin“ bestreitet. Teil des Ein-Zimmer-Haushaltes ist außerdem mit dem arbeitslosen Herrn Liszt noch ein Untermieter, der dubiosen politischen Aktivitäten nachgeht.
Ohne Pathos beschreibt Stögerer den Alltag, in dem es weder soziale Absicherung noch staatliche Stabilität gab. Besonders für die Frauen ärmerer Schichten war die Situation unerträglich. Jede Schwangerschaft barg das Risiko weiteren sozialen Abstiegs. Schonungslos legt Stögerer die Not offen, die die Frauen dazu bringt, die Dienstleistung von Frau Tóth in Anspruch zu nehmen.
Hinzu kommt, dass die Gesellschaft zerrüttet ist durch die Folgen des überstandenen Krieges, der nächste Konflikt bahnt sich bereits an. Stögerer lässt diese Ereignisse jedoch im Hintergrund geschehen. Er konzentriert sich auf den Alltag seiner kindlichen Protagonistin, deren Erleben und Sicht auf die Welt seine Darstellung definiert. So empfindet Luzia sogar in ihrer schlechten Situation Hoffnung und Halt durch die Erwachsenen, die sich um sie kümmern. Die Troststrasse (!), in der sie mit ihrer Ziehmutter lebt, ist ihr ein Zuhause, nachdem sie sogar Heimweh empfindet als sie es verlassen muss.
Geschickt hält der Autor die Balance aus kindlichem Blick und realistischer Darstellung. Das Ergebnis ist ein ebenso authentisches wie einfühlsames Bild, welches vor allem der Situation des Kindes gerecht wird und aufzeigt, wie fatal sich fehlende soziale Absicherung auf die schwächsten Mitglieder einer Gesellschaft auswirkt.
Obwohl Luzias Schicksal durchaus exemplarisch gesehen werden kann, hält Stögerer unbeirrt an der Individualität seiner Protagonistin fest und verleiht der im Rahmen offizieller Geschichtsschreibung vernachlässigten Biografie zu eigener Bedeutung.
Darüberhinaus punktet der Kurzroman nicht nur durch den realistisch wiedergegebenen Inhalt. Der ganz eigene Erzählton des Autors trägt zum Gelingen der Darstellung bei. Stögerer legt keine Emotionalität in den Text hinein. Er erzeugt Emotionalität durch prägnantes durchaus sinnliches Beschreiben.
Anders als der Umfang von gut 130 Seiten vermuten lässt, handelt es sich bei diesem Roman um kein Leichtgewicht. Zwar ist der Text gut zugänglich, was einen leichten Zugang zu einem wichtigen Kapitel der jüngeren Geschichte ermöglicht, die Intensität der Darstellung hallt jedoch lange nach.
- Autor: Daniel Stögerer
- Titel: Luzia: Kindheit zwischen den Kriegen
- Verlag: edition keiper
- Erschienen: September 2024
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 136 Seiten
- ISBN: 978-3903575240

Wertung: 13/15 dpt