
Die schwangere Jacy fährt mit ihrem frisch angetrauten Gatten Jed in einen entlegenen Winkel Wisconsins, um dort Jeds Vater Dr. Ash zum ersten Mal zu besuchen. Jed, dessen Mutter bei seiner Geburt gestorben ist, hat ein zwiegespaltenes Verhältnis zu dem distinguierten Mann. Irgendwo zwischen Bewunderung und Abscheu pendelnd.
Jacy hat zwar düstere Vorahnungen, geprägt von “Captain Murderer” der Schreckgestalt aus ihrer Kindheit, doch Dr. Ash erweist sich als freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit. Vielleicht ein bisschen zu hilfsbereit. Da gibt sich die Haushälterin Mrs. Brandt unnahbarer. Erst spät werden sie und ihr Ex-Mann Fisk sich als Wegweiser aus einem Alptraum entpuppen.
Gefährlicher erscheint zunächst eine Berglöwin, die das weitläufige Waldgebiet, nahe eines 300 Seelen-Dorfes namens Barripper, aber letztlich abseits der Zivilisation, inklusive instabiler Kommunikationsnetze, unsicher macht.
Anfangs scheint das Zusammentreffen harmonisch zu verlaufen. Vielleicht kehrt Jed etwas zu schnell zurück zu den Mechanismen und Aktivitäten seiner Jugend, ist Dr. Ash etwas zu aufmerksam und besorgt und Mrs. Brandt zu undurchschaubar. Doch bleiben es Ahnungen, keine unmittelbaren Bedrohungen, die Jacys Unbehagen erklären könnten.
Erst als die junge Frau Blutungen bekommt, die das Leben des Kindes gefährden könnten, ändert sich etwas. Aus Dr. Ashs Fürsorge werden Kontrollmechanismen, der befreundete Arzt, der Jacy untersucht, scheint Informationen zurückzuhalten und mehr über Jacy zu wissen als er dürfte. Und ob er es mit dem ärztlichen Schweigegelöbnis ernst meint, scheint auch fraglich.
Jacy beginnt sich immer mehr als Gefangene zu fühlen. Jed entgleitet ihr, wird schleichend zum willfährigen Erfüllungsgehilfen seines Vaters. So empfindet es Jacy zumindest. Doch kann sie ihren Empfindungen trauen, oder verfällt sie in Paranoia, ihren verrückt spielenden Hormonen geschuldet?
Dr. Ash scheint jeden Verdachtsmoment entkräften zu können, und auch Jed gibt sich integer. Jacy zweifelt zwar gelegentlich an ihren Sinnen, doch das Unbehagen bleibt, wächst, als Dr. Ash scheinbar selbst ihre eigene Mutter zur Verbündeten macht, die seine und nicht Jacys Position einnimmt.
Es dauert lange, bis die Lage tatsächlich eskaliert und finstere Geheimnisse ans Licht kommen. Doch Nebelfetzen bleiben, eine reinigende Flut wird es nicht geben.
“Hüte dich vor der Frau” ist eine modernisierte, geschickte Hommage an Daphne DuMauriers Klassiker des Mystery-Thrillers “Rebecca”. Der Roman beginnt wie DuMauriers Buch mit einer jungen Frau, die sich in traumähnlichem Zustand einem unbekannten Terrain nährt, das vom Geist einer anderen Frau beherrscht wird und endet mit der Flucht aus einer schaurigen Behausung.
Die Handlung dazwischen unterscheidet sich allerdings gravierend vom Vorläufer aus dem Jahr 1938.
Denn es ist nicht der Geist einer manipulativen Femme Fatale, der die Szenerie beherrscht, sondern die Misogynie eines alternden Patriarchen, der seine soziopathische Amoralität hinter einer Maske aus Charme und Freundlichkeit verbirgt. Dem es eloquent gelingt, sich Unterstützer zu erschaffen, dienstbereite Handlanger, die aus lauteren Motiven unlautere Dinge tun.
Megan Abbott meistert erneut das Kunststück, eine bedrohliche, unheilschwangere Atmosphäre zu kreieren, die Unsicherheiten der Erzählerin auf die Leserschaft zu übertragen. Obwohl zunächst kein wahrnehmbares Grauen seine Bahnen zieht. Zwar existiert eine mögliche Bedrohung von außen. Eine Berglöwin scheint mutmaßlich durch die Wälder um das einsame Anwesen von Dr. Ash zu streichen. Doch bleibt auch dies im Vagen, ebenso wenig fassbar wie die Schlüsse, die Jacy aus ihren Beobachtungen alltäglicher Episoden zieht. Da ist der Zugriff auf zahlreiche Waffen und die Fetischisierung derselben durch die männlichen Beteiligten schon beunruhigender.
Es dauert bis zum Showdown, ehe das Geschehen in einer spannungsgeladenen Sequenz kumuliert, die sowohl zum möglichen Neustart wie zum Abschied wird.
Abbott erschafft überzeugende Psychogramme der Beteiligten, die sich nur aus Andeutungen, beiläufigen Bemerkungen und möglichen Handlungen im off zusammensetzen. Das ist über weite Strecken trefflich, pointiert und effizient erzählt, lediglich in der Eigenwahrnehmung und ständigen Suche nach Selbstbestätigung Jacys neigt die Autorin zu Wiederholungen und partiellem Stillstand.
Was freilich zum Charakter der Erzählerin passt, die zwischen Verunsicherung, Charakterstärke und Angst vor einer Eskalation schwankt. Verstärkt wieder dieser Zustand der Unsicherheit durch den weitgehenden Verlust von Kommunikationsmitteln. Kein W-Lan, das Telefon ist störanfällig. Nie um Entschuldigungen und Abbitte verlegen bleibt lange unklar, ob Dr. Ash ein fürsorglicher oder bedrohlicher Schwieger- und kommender Großvater ist.
Wir gewieften Megan Abbott-Leser ahnen natürlich schnell wie der Hase im Horrorkostüm läuft. Dass “Hüte dich vor der Frau” trotzdem bis zum Ende spannend und trickreich bleibt, zeichnet Abbotts Kunst aus.
Trotzdem ich die drei anderen, bislang auf Deutsch erschienen Romane vorziehe, ist “Hüte dich vor der Frau” ein herausragendes Buch. Wenn im Trüben zu fischen je mein Hobby werden sollte, wäre Megan Abbott die beste Gefährtin. Fehlt nur noch ein begabter Hitchcock-Adept für die Verfilmung.
Autor: Megan Abbott
Titel: Hüte dich vor der Frau
Originaltitel: Beware The Woman
Verlag: Pulp Master Verlag
Umfang: 374 Seiten
Einband: Taschenbuch
Erschienen: Dezember 2024
ISBN: 978-3-946582-24-3

Wertung: 11/15 dpt