Will Dean – Die Kammer (Buch)

Seltsame Todesfälle in der Welt der Sättigungstaucher

Die DSV Deep Topaz startet von Aberdeen in die Nordsee, wo die rund hundertköpfige Besatzung nur eine Aufgabe hat, nämlich das Überleben von sechs Tiefseetauchern zu sichern. Für Ellen Brooke und fünf Männer bedeutet der gut bezahlte Job ein Leben in nahezu völliger Isolation. Achtundzwanzig Tage verbringen sie in einer Kammer, deren Druck dem des Meeresbodens entspricht, wo sie in Zweierteams und Achtstundenschichten eine Ölpipeline untersuchen sollen. Die Druckkammer besteht lediglich aus sechs Schlafkojen, einem kleinen Aufenthaltsbereich, einer Nasszelle und einer sogenannten Medlock; jener Schleuse, durch die Essen, Medikamente und andere Dinge in die Druckkammer gereicht werden. Über Bullaugen besteht zudem Sichtkontakt ins Schiff, wo Halvor, der Chef der Tauchkontrollstation, der wichtigste Mann an Bord ist.

„Diver Support Vessel. Fast einhundert Mann Besatzung, nur um uns zu ermöglichen, auf den Meeresboden zu gelangen und dort unsere Arbeit zu machen. Nur ist ihnen das diesmal nicht gelungen.“

Die erste Schicht führt Ellen und André über eine Taucherglocke in die Tiefe. Ein Einsatz, der am Meeresboden fast tödlich endet. Mit dem Schrecken davon gekommen geht es zurück in die Druckkammer, wo ein weiterer Notfall bereits eingetreten ist. Ausgerechnet das jüngste Teammitglied stirbt in seiner Schlafkoje. Sofort eingeleitete Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos. Die Mission wird aufgrund des Todesfalles sofort abgebrochen, allein, es gibt einen Haken. Zunächst muss der Luftdruck wieder soweit abgesenkt werden, dass die Taucher die Kammer ohne Gefahr verlassen können, denn ein vorzeitiges Öffnen der Luke würde für alle den sicheren Tod bedeuten. Genau hier liegt das Problem, denn dieser Vorgang dauert lange vier Tage und schon am nächsten Morgen gibt es einen weiteren Toten. Der Enge des Raums kann niemand entfliehen und wenn ein Todesfall ein Unglück gewesen sein mag, zwei sind es sicherlich nicht.

Locked Room Mystery vom Feinsten

Erstmals erscheint mit „Die Kammer“ ein Roman von Will Dean in deutscher Übersetzung und dieser macht gleich mächtig Laune auf mehr. Krimis mit Personen, die in einem „Raum“ eingeschlossen sind, bilden ein Subgenre, welches ähnlich alt ist wie der Kriminalroman selbst. Ob in einem eingeschneiten Zug wie dem Orient-Express, einem plötzlich von der Außenwelt abgeschnittenen Haus oder auf einer Insel, die man nicht mehr verlassen kann, der sogenannte Locked Room Mystery ist hinreichend bekannt. „Die Kammer“ bietet dennoch eine spektakuläre Variante des Sujets, denn so ganz abgeschieden sind die Taucher eben doch nicht. Durch Bullaugen kann man in die Druckkammer rein- wie raussehen und durch die Medlock erhalten sie Medikamente und mehr. Sie können halt nur die Kammer wegen des Drucks nicht verlassen und zudem werden die Schlafkojen als einzige Bereiche nicht Videoüberwacht.  

„Einer könnte ein Unfall sein, schreibe ich. Zwei sind ein Verbrechen.“

Ob Will Dean selbst Erfahrungen als Tiefseetaucher hat ist dem Rezensenten nicht bekannt. Jedenfalls hat er sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und einen in mehreren Hinsichten packenden Thriller geschrieben. Das Leben auf engstem Raum, die Abläufe in der Kammer sowie der Taucherglocke oder das Zusammenwirken mit der Crew auf dem Schiff werden sehr eindringlich beschrieben. Man bekommt beim Lesen selber Platzangst, die wochenlange Enge an Bord muss unbeschreiblich sein. Hinzu kommt, dass man sich auf die Kollegen hundertprozentig verlassen können muss, denn direkte Hilfe von außen ist ja im Ernstfall nicht möglich. So sollte es beruhigend sein, dass fast alle Taucher zusätzlich als Sanitäter ausgebildet sind, jedoch ist völlig unklar, wie es zu den Todesfällen kommt. Es scheint ausgeschlossen, dass einer derjenigen, denen man sein Leben anvertrauen muss, der Täter ist. Könnte es jemand von der Crew sein? Aber wie soll das bitte gehen? Wo liegt ein Motiv?

Vier Tage in der Dekompression können sehr lang sein, zumal wenn sich (nicht nur) ein Toter in dem kleinen Raum befindet. Es kommt zwangsläufig zu Misstrauen untereinander, dabei darf man gerade jetzt nicht paranoid werden. Ellen Brooke, die einzige Tiefseetaucherin in der Nordsee, erzählt das Geschehen aus ihrer Sicht, wobei das vermeintlich zu erwartende Szenario „Einzige Frau unter Männern“ kaum eine Rolle spielt. Während die Crew zusammenschrumpft, versucht man sich abzulenken. Einige vorgetragene Anekdoten, die fast selbstredend von weiteren Un- und Todesfällen berichten, dienen der zeitlichen Überbrückung bis endlich die Öffnung der Luke in Sichtweite kommt. Diese kurzen Erzählungen vermitteln zusätzlich die Gefährlichkeit des Jobs als Berufstaucher und dies nicht nur „in der Sättigung“.

Die Welt der sogenannten Sättigungstaucher, in denen niemand Luft atmet, sondern Heliox, ein Gemisch aus Helium und Sauerstoff, ist ebenso faszinierend wie beängstigend für Außenstehende. Durch die häufige Verwendung zahlreicher Fachbegriffe, die man entweder beim ersten Lesen verstanden und behalten hat oder im abschließenden Glossar nachlesen kann, wird die Authentizität nochmals erhöht. Zudem wird der Roman gefühlt in Echtzeit erzählt.

Wer nicht unter Klaustrophobie leidet, darf und sollte zugreifen. „Die Kammer“ ist eine klare Bereicherung des Genres Locked Room Mystery und schon jetzt ein Kandidat für die Top Ten des Jahres.  

  • Autor: Will Dean
  • Titel: Die Kammer
  • Originaltitel: The Chamber. Aus dem Englischen von Sepp Leeb
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Umfang: 400 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: März 2025
  • ISBN: 978-3-455-01924-7
  • Produktseite

Wertung: 13/15 dpt

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