Sarah Lorenz – „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ (Buch)

„Nirgends finde ich mich so wieder wie in ihren Gedichten.“ Die Gedichte von Mascha Kaléko sind für Elisa eine emotionale Konstante in ihrem Leben. Während sie mit dem Zug von einem Besuch an Maschas Grab in Zürich wieder auf dem Weg nach Hamburg ist, erinnert sich Elisa an ihren bisherigen Lebensweg. Oder vielmehr: Sie erzählt Mascha, wie ihr Leben verlaufen ist, spricht sie immer wieder direkt an: „Weißt du, Mascha, was ich schon immer hatte? Einen festen Willen und ganz viel Sehnsucht.“ So fast schon in sich ruhend, wie die erwachsene Elisa im Zug wirkt, so wild, schlimm und chaotisch sind ihre Jugendjahre voller Alkohol, Drogen, Selbstverletzung, Sex mit den falschen Männern und dem Wechsel von Jugendeinrichtungen und Obdachlosigkeit.

Mit elf Jahren gibt ihre Mutter sie in eine Jugendhilfeeinrichtung, ein „großes Haus“ mit einer Gefühlskälte, die kaum zu übertreffen ist, einem Heimleiter, dessen Missbrauch der Kinder ignoriert wird, und einem fünf Quadratmeter großen, zellenähnlichen Zimmer. Nach anderthalb Jahren darf Elisa wieder zu ihrer Mutter zurück, doch zu der wie erstarrt wirkenden, kalten Frau kann die 13-Jährige keine Verbindung aufbauen. Der Traum der Jugendlichen: auf der Kölner Domplatte als Punk leben und mit 30 an Heroin sterben. Was nun folgt, ist ein Leben, wie es kaum selbstzerstörerischer sein kann. Elisa nimmt jede Droge, die sie bekommen kann, vertraut oft den falschen Menschen und lässt sich von Männern sexuell bedrängen und ausnutzen, weil sie sich nicht zu wehren weiß oder so betrunken ist, dass sie gar nichts mehr wahrnimmt. Auch wenn Elisa sich immer wieder selbst in Gefahr begibt: Hier geht es letztendlich um ein Kind, das schutzlos durch die Welt stolpert, immer auf der Suche nach Liebe und Zugehörigkeit – und eine Welt, die ohne Mitleid und Respekt bei der Zerstörung mitmacht oder desinteressiert zuschaut.

Eine Jugendliche, wie ich sie war, mit einem Hunger auf Leben, einer Sehnsucht nach Liebe und einer Wut, die keine Grenzen kennt, nennt man Systemsprengerin.

Vieles in Sarah Lorenz‘ Roman „Mir dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ sind Schilderungen, bei denen man am liebsten eingreifen würde, „Stop!“ rufen und Elisa in den Arm nehmen will. Es fällt auch nicht leicht, diese Lebensgeschichte zu lesen, denn was passiert, wird deutlich beim Wort genannt und mit scharfem Blick beobachtet. Ein großer Teil sind Erfahrungen, die Autorin Sarah Lorenz selbst gemacht hat. Wo sie sich schriftstellerische Freiheiten genommen hat, sagt sie nicht. Nur, dass es in dem Moment, als Sarah Lorenz ihrer Protagonistin Elisa den Namen gab, es zu deren Geschichte wurde. Und dass sie selbst keinen Wert auf Privatsphäre legt – „die ist mir egal“. Sarah Lorenz hat – ebenso wie Elisa – in einer Buchhandlung gearbeitet, ist dabei zufällig auf Mascha Kaléko gestoßen und zum „Fangirl“ geworden. Die enge Verbundenheit zu Köln – Elisas Wunschort für ein Leben bis zum Drogentod – betont die Autorin bei einer Lesung in Köln. Wer ihrem sehr aktiven Instagram-Account „buchischnubbel“ folgt, stößt schnell auf die Liebe von Sarah Lorenz zu kleinen, heimeligen Häuschen, am liebsten mit Reetdach – so wie Elisa auch erzählt, dass sie sich nach kleinen Häusern sehnt, so wie sie sie in ihrer noch sehr glücklichen Kindheit kennengelernt hat.    

Jedem Kapitel stellt Sarah Lorenz ein Werk von Mascha Kaléko voraus, der jüdischen Dichterin, die 1929 erste Gedichte im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ veröffentlichte und deren Werk schließlich von den Nationalsozialisten als „schädlich und unerwünscht“ verboten wurde. „Es ist faszinierend: Man findet zu allen Themen ein Gedicht“, sagt Sarah Lorenz. Und es ist in der Tat erstaunlich, dass hundert Jahre alte Gedichte die Emotionen einer aus der Bahn geratenen Jugendlichen so stimmig begleiten können. Dabei ist die Lebensgeschichte von Elisa nicht immer chronologisch erzählt, sie springt zwischen Städten, Heimunterbringungen und toxischen Männerbeziehungen. Der rote Faden bleibt aber immer erkennbar: Das junge Mädchen ist unter all den wild-romantischen Ideen von Drogenkarrieren und einem Leben jenseits des Mainstreams immer auf der Suche nach Wärme und Beständigkeit.

Vielleicht ist es die Tatsache, dass die 39-jährige Elisa sich angekommen fühlt in ihrem Leben, die dazu führt, dass das Buch versöhnlich bleibt. Mit Nick hat sie den Mann gefunden, bei dem sie sich aufgehoben fühlt, Abitur und Studium hat sie nachgeholt. Auch wenn die Eltern darin versagt haben, Elisa den notwendigen Halt zu geben – für beide findet sie mit dem Abstand der Jahre Verständnis (auch wenn sie zur Mutter keinen Kontakt mehr hat). Und auch für die jugendliche Elisa empfindet sie eine große Zuneigung und schreibt ihr einen tröstenden Brief in die Vergangenheit.

Meine tiefste Überzeugung ist jene, dass es sich immer lohnt, Hoffnung zu haben.

Man kann nur staunen, dass Elisa mit solchen Erfahrungen noch an das Positive im Leben glauben kann. Alleine die Fülle an schlechten Erlebnissen könnten zwei Leben füllen. Doch die glücklichen Kinderjahre sieht sie als Fundament für die Liebe. Und die enge Verbindung zu Mascha Kaléko war ihr immer eine Stütze. „Siehst du, Mascha, ich bin deinem Rat gefolgt: Ich war klug und hielt mich an Wunder.“

Fazit:

„Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ von Sarah Lorenz ist ein inhaltlich raues, hartes Buch, das mit der engen Einbeziehung von Mascha Kalékos Gedichten und deren Lebensgeschichte sowie dem autobiographischen Bezug zur Autorin einzigartig ist. Die gut 200 Seiten lesen sich wie ein Pageturner, denn man möchte Protagonistin Elisa folgen und fühlt jede Sekunde mit ihr mit. Ein weiterer Effekt des Romans: Wem „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ gefällt, greift als nächstes direkt zu den Werken von Dichterin Mascha Kaléko.

Wertung: 14/15 dpt

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