
Eine persönliche Anmerkung zum Start: Helmut Wenskes Kunst begleitet mich seit vielen Jahrzehnten. Fünf Poster-Reproduktionen zierten die Wände meines Jugendzimmers, keiner brachte die phantastische Weltsicht meiner damaligen Helden Edgar Allan Poe, Algernon Blackwood, H. P. Lovecraft (Wenskes „Portrait des Erich Zann“ ist eine kongeniale Visualisierung der Short Story), eigentlich aller Autoren der „Phantastischen Bibliothek“ besser zum Ausdruck als Wenske.
„Intrapsychische Malerei“ oder ausgekotzte Kifferphantasien (beinahe O-Ton des Künstlers), das spielt keine Rolle. Helmut Wenskes Kunst ist ein wildes Konglomerat surrealistischer Phantasmagorien, die für sich selbst stehen. Und die Wenske auch zu einem begehrten Gestalter von Album-Covern machten. Was Roger Dean für YES, Storm Thorgerson für PINK FLOYD oder Paul Whitfield für GENESIS waren, war Helmut Wenske für NEKTAR, OMEGA, KARTHAGO, DZYAN und andere Bands. PELL MELLs „Marburg“ ist vor allem wegen des Wenske-Titelbilds in Erinnerung geblieben. Das als Poster auch eine meiner Wände zierte. Wobei die dazugehörige Musik für einen Krautrock-Aficionado empfehlenswert ist.
Wenske war ein höchst origineller, beeindruckender bildender Künstler von eigenen Gnaden. „War“, weil er seit den frühen 80ern nur noch selten ein Zeichengerät in die arthritischen Hände genommen hat. Es gab noch vereinzelte Künstlerportraits, wie das von Keith Richards, das den Titel von Martin Comparts „2000 Lightyears from Home: Eine Zeitreise mit den Rolling Stones“ schmückt. Compart kommt in „Colours & Sounds“ selbst mehrfach zu Wort, inklusive eines ausführlichen Berichts über das wilde Treiben in der hessischen Rock’n’Roll-Metropole Hanau.
Dort ist Wenske daheim, und wer nach der einleitenden Beschreibung einen dalinesken Exzentriker erwartet, darf sich getäuscht sehen. Helmut Wenske ist ein hessischer Rocker, ein Außenseiter, dem der gepflegte Kunstbetrieb suspekt ist. Obwohl er sich in der Gesellschaft Geistesverwandter wie H. R. Giger sehr wohlfühlt.
Wenske ist ein kreativer Allrounder. Er malt nicht nur, sondern singt (er selbst würde wahrscheinlich eher so etwas wie „krakeelt“ anmerken) und schreibt Bücher. Autobiographisches, dessen rüder wie herzlicher Ton schon mal mit Charles Bukowski verglichen wird, scharfsichtige Betrachtungen zu musikalischen Spezialgebieten. Sein Buch über indonesische Rockbands, die sogenannten „Indo-Rocker“ ist ein vielgelobtes Standardwerk, sein lesenswerter Abgesang auf Manny Herrmann, den Sänger der Hanauer Szenegröße „The Tumbling Dice“, eine sarkastische wie wehmütige Liebeserklärung („Red Rooster – Leben und Tod des Hanauer Rockmusikers Manny Herrmann und die Story von The Tumbling Dice“).
Von all diesen Aktivitäten erzählt „Colours & Sounds“, ist gespickt mit Anekdoten und exzellentem Bildmaterial auf wertigem Papier, das auch die Reproduktionen der Gemälde und Plattencover sehr gut zur Geltung kommen lässt. Dazu gibt es Fotos von Musikern, Rockern, Weggefährten und -gefährtinnen, oft gerne alles in einem. Wenskes Schilderungen sind unterhaltsam, pendeln zwischen Komik, Erstaunlichem (u.a. stand der Autor fast ein Jahrzehnt unter vagem Mordverdacht) und Traurigkeit. Denn natürlich sind viele der Begleiter aus wilden Zeiten mittlerweile verstorben, und Helmut Wenske lässt diese Verluste auf die ihm eigene schnodderige wie herzliche Art Revue passieren.
Dabei geht ihm der Hang zu Überhöhung völlig ab, auch in der eignen Nabelschau bleibt Wenske geerdet, fast schon despektierlich. Mit grimmigem Witz zieht er schonungslos vom Leder. So baut er ohne Umschweife den Arztbericht nach einem betrunkenen Fahrradsturz (mit 80. Nicht Kilometern, Jahren) ein, der die wunderbare Sentenz „Es zeigt sich ein wacher, leidlich kooperativer Patient“ enthält. Unangepasst, selbst, wenn er am Boden liegt. Manch anderem würde man diese Eskapaden nicht abnehmen, doch bei Helmut Wenske hat man beinahe das Gefühl, dass er untertreibt.

Dankeswerterweise hat Helmut Wenske dieses Jahr seinen fünfundachtzigsten Geburtstag erlebt. Und feiert ihn mit einem wunderbaren Buch, einer auch editorisch höchst gelungenen Reminiszenz an ein wildes Leben. Die Lust macht auf Wenskes Bilder, die Musik, deren Entstehung er begleitete, seine literarischen Werke und die Filme, die sich mit ihm und der ehemaligen Garnisonsstadt Hanau beschäftigen.
Ein paar Anmerkungen:
Co-Autor Chris Hyde ist natürlich Helmut Wenske himself. Der „Rock’n’Roll-Tripper“.
Dank Helmut Wenske weiß ich jetzt, dass es zwei Adam & Eves gab. Die erste Inkarnation machte knuffigen Psych-Pop, die zweite unsägliche Schlagermucke.
Helmut Wenske ist groß genug, um sich selbst klein zu reden. Aber seine Bilder sind weit mehr als „vollgeknallt“ ausgekotzte „Abfallprodukte“. Sie bleiben. Und immerhin zwei habe ich aus Jugendtagen in die Gegenwart gerettet. Habe ich mit dem Sonnenuntergang in der Serengeti oder den David-Hamilton-Abdrucken aus dem BRAVO-Poster-Sonderheft gar nicht erst versucht. Oder den von Tolkien inspirierten „Lord Of The Rings“-Großformat-Blättern. Von meinen selbst abgepausten „Close To The Edge“- und „Trick Of The Tail”-Butterbrotpapierkunstwerken ganz zu schweigen.
Nee, Helmut Wenske ist schon ein bedeutender Bursche. Auch wenn er das vermutlich selbst als Erster abstreiten würde.
Kauft das Buch, lest, staunt und seht selbst.
Cover + Bild © Hirnkost-Verlag
Autor: Wenske/Hyde
Titel: Colours & Sounds. Stories und Malerei zur Rock-Musik
Verlag: Hirnkost Verlag
Erschienen: 25.03.2025
Einband: Hardcover
Seiten: 456 Seiten
ISBN: 978-3-98857-126-7

Wertung: 14/15 dpt