Sophie Morton-Thomas – Das Nest (Buch) 

Zwei vermisste Personen, tote Vögel und neue Nachbarn

Fran Redlock hat in einem kleinen Küstendorf eine Wohnwagensiedlung gekauft, in der sie nun von der Vermietung der Mobilheime lebt, während ihr Mann Dom in Norwich arbeitet. Der zehnjährige Sohn Bruno freut sich auf den Schulbeginn, da er dort neben seiner elfjährigen Nichte Sadie sitzen darf, die wiederum mit ihrer Mutter Ros, Frans Schwester, und deren Partner Ellis eines der Mobilheime bewohnt. Zum Schulstart erwarten die Kinder eine neue Lehrerin, die in Mutterschutzvertretung übernehmen soll. Ms. McConnell erfüllt jedoch mit ihren pinken Haaren und ihrer auffälligen Kleidung nicht den Geschmack aller Eltern, zudem verweist sie Sadie vorübergehend von der Schule, da diese einer Mitschülerin schmutzige Vogelfedern in die Schultasche gesteckt hat.

Neben der neuen Lehrerin gibt es noch eine weitere Veränderung, denn zeitgleich hat sich eine Roma-Sippe neben Frans Wohnwagensiedlung niedergelassen. Bruno und Sadie finden Vertrauen zu dem Roma Tad und dessen jüngeren Bruder Charlie und vor allem Sadie scheint sich ein wenig mit Jade, Tads erwachsener Tochter, anzufreunden.

„Ich habe mich nur gefragt, wie lange Sie hier bleiben werden.“

„Immer schön, die Ansässigen kennenzulernen.“

Zwei Monate nach Schulbeginn droht Frans Welt aus den Fugen zu geraten, denn plötzlich ist Ms. McConnell verschwunden. Am gleichen Tag verschwindet Ellis, nachdem wenig später gefahndet wird. Doch was ist überhaupt geschehen? Haben womöglich die Reisenden, die Roma, etwas damit gemein? Warum findet Fran bei ihrer täglichen Vogelbeobachtung immer mehr Vögel, die offensichtlich von einem Menschen getötet wurden und – nicht zuletzt – was wissen Bruno und Sadie über die Ereignisse?

Starke Sogwirkung

„Das Nest“ ist ein faszinierender, da ungewohnter Roman, der von Beginn an eine hohe Sogwirkung entfaltet. Die Ereignisse werden abwechselnd von Fran und Tad erzählt, wobei Letzterer so etwas wie der Dorfälteste der Roma ist. Während man negativen Klischees über die Roma zum Trotz von Beginn an den Erzählungen von Tad glaubt, stimmt bei Fran so einiges nicht, was nicht nur an deren Hysterie liegt.

„Weißt du, dass Sadie und ich nicht mehr zusammen spielen? Oder in der Schule nebeneinandersitzen?“

„Ja, das hat deine Lehrerin beim Elternsprechtag erwähnt. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“

„Wollte keinen Ärger bekommen.“

Auffallend oft betonen zudem Ros und Sadie, dass es ihnen gut geht und alles in Ordnung sei. Doch als Fran eines Tages deren Mobilheim reinigen will, findet sie dieses in einem verwahrlosten Zustand vor. Auch Lebensmittel sind kaum zu sehen, dafür im Mülleimer etliche Bierdosen und eine Schnapsflasche. War der Entzug von Ellis doch nicht erfolgreich? Derweil steigert sich Fran mehr und mehr in einen Beschützerinstinkt, da sie sich vor allem um ihre Nichte sorgt. Man könnte es übergriffig nennen, derweil die Beziehung zu ihrem Mann Dom zunehmend zerfällt.

„Keine Frau, die noch ganz bei Sinnen ist, würde freiwillig in so heruntergekommenen Sachen rumlaufen, wie ich sie im Moment trage. Nicht, dass ich je einen Grund gehabt hätte, mich mal schick zu machen.“

Man könnte außerdem meinen, auf den ersten rund hundertdreißig von insgesamt dreihundert Seiten passiert wenig bis nichts, was die auf dem Buchrücken verwendete Bezeichnung „Krimi“ rechtfertigt. Doch weit gefehlt. Ja, zunächst verschwinden nur die Lehrerin und Ellis, für ein Kapitalverbrechen gibt es keinerlei Anzeichen. Das Unwohlsein des Lesers hat derweil beachtenswert Fahrt aufgenommen, denn Sadie scheint alles andere als ein liebes Mädchen zu sein. Oder giert sie nur vergeblich nach Aufmerksamkeit und Anerkennung? Dass einiges ganz und gar nicht in Ordnung ist zeigen allein die vielen getöteten Vögel. Langsam und unscheinbar zieht die Autorin ihre Leser immer tiefer in den Roman, das Grauen entsteht im Kopf und weniger im tatsächlichen Geschehen. Aber was kann man Fran glauben? Klar ist, dass sie – wie nahezu alle anderen Figuren – ihre Probleme hat.

Wer ausgefallene und ruhige Plots mag, sollte „Das Nest“ lesen. Nicht nur die zunehmend bedrückender werdende Handlung, in der es – na klar – noch zu einem Verbrechen kommen wird, ist packend. Von Frans besessener Leidenschaft der Vogelbeobachtung lässt man sich fast anstecken und ist geneigt, beim nächsten Strandgang oder wo auch immer, die Vogelwelt genauer zu betrachten. Zum Finale zündet Sophie Morton-Thomas dann ein kaum noch für möglich gehaltenes Feuerwerk mit überraschenden Erkenntnissen sprich Wendungen. Und dann wäre da ja noch „Das Nest“ der Zwergseeschwalbe mit ihren wertvollen Eiern, das plötzlich leer war.

  • Autorin: Sophie Morton-Thomas
  • Titel: Das Nest
  • Originaltitel: Bird spotting in a small Town. Aus dem Englischen von Lea Dunkel
  • Verlag: Pendragon
  • Umfang: 320 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Juli 2025
  • ISBN: 978-3-86532-909-7
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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