Zoë Beck – Das zerbrochene Fenster (Buch)

Menschen verschwinden, damals wie heute

Cedric Darney erhält spätabends einen Anruf seiner verhassten Stiefmutter Lillian, die lediglich den Namen „Sean“ nennt. Cedric ist beunruhigt und fährt auf die Halbinsel Fife, wo er Lillian in ihrem Anwesen ermordet auffindet. Er verständigt die Polizei und wird schnell zum Tatverdächtigen, denn zwischenzeitlich wurde das Testament von Cedrics Vater, der vor zwei Jahren in der Schweiz ermordet wurde, anerkannt und Lillian zur Alleinerbin. Nach ihrem Tod erbt wiederum einzig ihr Sohn William, der allerdings erst anderthalb Jahre alt ist. Erst wird Lord Darney getötet, rund zwei Jahre später seine Frau. Ein Zufall oder befürchtet Cedric zu Recht, dass er womöglich der nächste sein wird?

„Sie kommen also dorthin, es handelt sich offensichtlich um einen Täter, der eine Rechnung mit ihr offen hatte, und im Haus sitzt ein zugedröhnter junger Mann, er trägt Handschuhe, aber keine Schuhe und keinen Mantel. Die liegen blutverschmiert neben der Treppe. Draußen im Schnee gibt es nur seine Reifenspuren und seine Fußspuren. Was glauben Sie, was die Leute vor Ort denken?“

Als der Journalist Ben Edwards seinen Vater aus der Ausnüchterungszelle holt, erfährt er von DS Isobel Hepburn von Lillians Ermordung und dass sein Freund Cedric von den Kollegen in Fife vernommen wird. Zur gleichen Zeit betritt eine Frau namens Philippa Murray die Wache in Edinburgh und behauptet, den Mörder von Lillian zu kennen. Es sei ihr Freund Sean Butler gewesen. Kleiner Haken: Sean verschwand vor sieben Jahren spurlos. Als die Polizei am nächste Tag erneut mit Philippa sprechen möchte, ist diese ebenfalls spurlos verschwunden.

Abschuss des Schottland-Quartetts

Nach „Das falsche Leben“, „Der frühe Tod“ und „Das alte Kind“ bildet „Das zerbrochene Fenster“ den Abschluss des Schottland-Quartetts von Zoë Beck, die zuletzt mehr durch einen Genremix aus Krimi und Science-Fiction („Memoria“, „Paradise City“) auffiel. Ja, man kann das Buch ohne Kenntnis der Vorgänger lesen, aber dennoch sollte man zumindest den dritten Teil kennen, da andernfalls einige Punkte nur bedingt verständlich sind.

„Warum steht sein Vater nicht spätestens um Mitternacht vor der Tür und jagt ihn ins Bett?“

„Weil er seit zwei Monaten tot ist.“

„Scheiße.“

„Ja.“

„Krank?“

„Selbstmord.“

„Scheiße.“

„Ja.“

Erneut spielt der Plot in zwei Zeitebenen. Der Roman spielt heute (2010) vorwiegend in Edinburgh, Fife und St Andrews und beginnt mit der Ermordung von Lillian. Wenig später bittet Cedric seinen Freund Ben, der Sache nachzugehen, wobei eine wichtige Spur in die Schweiz zu führen scheint. Spätestens hier wäre die vorausgehende Lektüre von „Das alte Kind“ sinnvoll. Der zweite Erzählstrang beginnt im Jahr 2003 mit dem Verschwinden von Sean und der anschließenden Suche von Philippa nach ihrem Freund. Aus deren Tagebucheintragungen ergibt sich bald ein genaueres Bild der Familie Murray. Ein schwerreicher Unternehmer als Vater, ein fürsorglicher Bruder und eine verhasste Schwester, wobei die Familie insgesamt ziemlich zerstritten ist, um es freundlich zu formulieren.

„William ist ein Designerbaby. Er wurde nur geboren, weil die Ärztin, die ihn gemacht hat, der Meinung war, er sei hundertprozentig gesund.“

„Und was sagt uns das jetzt?“

„Ist das kein Motiv, Lillian zu ermorden?“

„Eher ein Motiv für Lillian, die Ärztin zu ermorden.“

Gebrochene Figuren gibt es in dem Roman reichlich, so dass man von Beginn an zweifelt, was man Philippa eigentlich glauben darf. Bezichtigt sie Sean nur deswegen als Mörder um zu verhindern, dass dessen Vater Pete ihn nach sieben Jahren endlich für tot erklären kann? Am Vorabend von Seans verschwinden kam es zwischen ihm und Philippa zu einem Streit, bei dem sich Sean verletzte. In der Folge erfährt Philippa von Pete, dass sie dessen Sohn anscheinend nicht so gut kannte wie gedacht, denn dessen kriminelle Vergangenheit ist ihr neu. Durch die Risse in ihrer eigenen Familie ergeben sich auch hier Möglichkeiten, was mit Sean passiert sein könnte. Ist er nur untergetaucht oder fiel er einem Verbrechen zum Opfer? In der Gegenwart beschäftigen Cedric und Ben ähnliche Fragen. Wer sollte ein Interesse daran haben, Lillian zu ermorden? Ging ein versuchter Einbruch schief, an dem womöglich Sean beteiligt war?

Die Gedanken und Tagebucheinträge der Hauptfiguren bieten – insbesondere bei Philippa – einige Wiederholungen, was zwar deren Verzweiflung authentischer werden lässt, gleichwohl auch einige Längen hat. Sorgfältig lesen sollte man den Roman trotzdem, denn mitunter gibt es beiläufig weitere Hinweise. Die Spannungskurve ist recht ordentlich, denn es passieren natürlich bis zur überraschenden Auflösung noch einige Dinge, die vor allem die Verhältnisse der beteiligten Figuren untereinander beeinflussen.

Insgesamt bietet die Schottland-Reihe von Zoë Beck recht eigenwillige Plots mit jeweils interessanter Ausgangssituation. Cedric Darney ist die dank seiner diversen Macken ungewöhnliche Hauptfigur der Serie, die allerdings nicht immer im Vordergrund steht.

  • Autorin: Zoë Beck
  • Titel: Das zerbrochene Fenster
  • Verlag: Suhrkamp
  • Umfang: 394 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Februar 2022
  • ISBN: 978-3-518-47196-8
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt

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