Bücher auf Rädern – Im Gespräch mit Lennart Schaefer zum Abschluss seiner LITERADTOUR

Ein Mensch, ein Lastenrad, eine Mission

Sieben Monate. 16 Bundesländer. Über 8.000 Kilometer.
Von der Leipziger Buchmesse im März bis zur Frankfurter Buchmesse im Oktober ist Lennart Schaefer mit seinem Lastenrad quer durch Deutschland gefahren. Unterwegs hat er Buchhandlungen besucht, mit Autor*innen gesprochen, in Schulen Leselust geweckt und überall eines getan: seine Begeisterung für Bücher geteilt.

(c) LITERADTOUR

Jetzt, am Ende seiner LITERADTOUR, sprechen wir mit Lennart über Begegnungen, Lieblingsmomente – und was man über Deutschland lernt, wenn man es Seite für Seite bereist.

Wenn du an den Start deiner Tour zurückdenkst – an diesen Moment in Leipzig – was war deine größte Hoffnung und was deine größte Sorge?

Meine größte Hoffnung war, dass ich all das bewältigt bekomme, was vor mir liegt. Das war ja ein Berg voller Herausforderungen und Unwägbarkeiten. Und ich habe auf inspirierende Begegnungen gehofft, auf menschliche Verbindungen, die bleiben. Meine berechtigte Sorge war, dass ich zu wenig Zeit eingeplant habe, um all das Erlebte zwischendurch zu verarbeiten.

Gab es unterwegs einen Moment, in dem du gedacht hast: „Genau deshalb mache ich das“?

Tatsächlich war das oft der Gedanke nach tollen Begegnungen, aber dass ich im Moment dachte, dass es die absolut richtige Entscheidung war, kam ganz oft auf dem Rad. Die Natur in Deutschland ist so schön, sich draußen zu bewegen, ist (neben dem Lesen) das Beste, was man tun kann.

(c)(c) Nicola Steinicke – Logo

Welche Begegnung bleibt dir besonders im Gedächtnis – vielleicht, weil sie etwas in dir verändert hat?

Die Begegnung mit Paul Maar. Er ist jetzt 87 Jahre alt und hat immer noch dieses wache Leuchten in den Augen. Das lässt mich mit mehr Gelassenheit aufs Älterwerden blicken. Ansonsten habe ich wegen meiner Rot-Grün-Schwäche immer gedacht, ich könne niemals schöne Bilder malen. Meine Kunstlehrerin hat mir das schon in der Grundschule so gesagt. Meine Gespräche mit den Illustratorinnen Dorothea Tust in Köln und Nele Palmtag in Hamburg haben mir aber gezeigt, dass ich doch eine Begeisterung und einen Zugang zu dem Thema habe. Ich möchte nach der LITERADTOUR unbedingt einen Malkurs belegen.

Wenn deine Tour ein Buch wäre – welches Genre hätte sie?

Ein klassischer Abenteuerroman, denke ich. Oder eben ein Sachbuch. Es gibt ja verschiedene Schwerpunkte: Die menschlichen Begegnungen in allen sechzehn Bundesländern, aber auch die abenteuerlichen Wege mit dem Lastenrad.

Hattest du unterwegs überhaupt Zeit, selbst zu lesen – oder war das Buch diesmal mehr Mission als Muße?

Ich hatte kaum Zeit, denn auf dem Rad zu lesen, gestaltet sich schwierig. Deshalb habe ich viele Hörbücher gehört.

Gibt es ein Buch, das dich auf der Tour besonders begleitet oder geprägt hat – vielleicht eines, das du plötzlich mit anderen Augen gesehen hast?

Das Hörbuch „4000 Wochen – Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement“ hat wirklich mein Leben verlängert. Es zeigt, wie unsinnig es ist, mit dem Ziel zu leben, alles erledigt zu haben – alle Mails lassen sich nie beantworten. Es lehrt, dass man einfach damit umgehen muss, dass man immer hinterher ist. Wenn man das akzeptiert, ist das ein unglaublich befreiendes Gefühl.

(c) Nicola Steinicke – Grafik Buchhandlung

Wenn du einem Kind oder Jugendlichen unterwegs ein Buch geschenkt hättest: welches wäre es und warum gerade dieses?

Wenn ich ein Kinderbuch verschenken würde, wäre das wahrscheinlich immer eines von Astrid Lindgren oder Kirsten Boie oder mein Lieblingsbuch als Jugendlicher: „Tintenherz“. Und ich liebe eigentlich alle Bücher von Andreas Steinhöfel, Benjamin Tienti, Finn-Ole Heinrich und Julia Blesken.

Du hast viele Buchhandlungen besucht – von kleinen Läden auf dem Land bis zu großen Häusern in den Metropolen. Welche hat dich besonders beeindruckt oder berührt?

Die Erlebnisbuchhandlung didactus in Kempten im Allgäu hat mich wahnsinnig beeindruckt. Ihre Buchhandlung wurde vor einigen Jahren ausgezeichnet und von dem Preisgeld haben sie ein Feuerwehrauto gekauft und fahren mit dem zu Kindern und Jugendlichen, um die für Bücher und fürs Lesen zu begeistern. Auch sonst organisieren sie unheimlich viele kreative Veranstaltungen. In der Großstadt ist das Dussmann Kulturkaufhaus meine Lieblingsbuchhandlung. Da gibt es beinahe alle Bücher und zusätzlich eine großartige Musik-Abteilung und gerade eröffnet auch noch ein Café. Wegen der belesenen und sympathischen Mitarbeiter*innen fühlt sie sich aber trotzdem an wie die kleine Buchhandlung von nebenan. Nur, dass man keinen Tag auf das gewünschte Buch warten muss, weil es zu 90 % vorrätig ist.

So eine Tour ist ja nicht nur eine Reise durch Deutschland, sondern auch eine Reise zu dir selbst. Hat sich dein Verhältnis zur Literatur – oder vielleicht auch zum Reisen – verändert?

Ich habe gemerkt, dass mir beides unheimlich viel Lebensglück schenkt, dass ich eigentlich so viel wie möglich tun muss, um mir Zeit zu schaffen, mich mit Büchern zu umgeben – privat und beruflich – und dass ich zwischendurch in die Natur gehe und mich bewege. Dafür braucht es ja keine große Reise. Das muss auch im Alltag möglich sein.

Gab es Momente der Erschöpfung oder Einsamkeit, in denen dir ein bestimmtes Buch, Gedanke oder Mensch wieder Kraft gegeben hat?

Ja, die Phasen der Erschöpfung gab es, aber dann war es eher das Radfahren, das mich da wieder herausgeholt hat. Ich glaube, was das Radfahren und Lesen vereint, ist, dass es einen aus dem Gedankenstrudel herausholt. Es braucht ein bisschen Motivation, aber hat man sich durchgerungen, mit dem Rad nach draußen oder mit dem Buch aufs Sofa zu gehen, fühlt man sich danach immer entspannter und glücklicher.

Was wünschst du dir, dass die Menschen von deiner LITERADTOUR mitnehmen – über Bücher, über Deutschland, vielleicht auch über dich?

Natürlich hoffe ich, dass viele das als Impuls nehmen, um wieder zum Buch zu greifen. Nachrichten, die mich während der Tour erreicht haben, bestätigen das. Aber ich hoffe auch, dass die LITERADTOUR zeigt, dass man seine verrücktesten Lebensträume in die Tat umsetzen kann. Man muss sich einfach selbst in die Situation bringen, dass man gar nicht anders kann. Ich habe für die Tour sogar meinen Job gekündigt.

Und zum Schluss: Wird es ein nächstes Kapitel geben? Vielleicht eine internationale LITERADTOUR – oder ein ganz anderes Abenteuer?

Vielleicht in einigen Jahren, aber jetzt freue ich mich erst einmal darauf, wieder in einem Verlag kreativ zu werden.


Wir danken Lennart, für das Gespräch – und für die sieben Monate, in denen er die Welt der Bücher noch sichtbarer gemacht hat: auf Straßen, in Schaufenstern, sowie im Gespräch mit den Menschen. Lennerts Projekt zeigt, dass Literatur kein stilles Hobby sein muss, sondern auch mit Bewegung, Begegnung und Begeisterung einhergeht.

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