Christian Schlindwein – Eiseskälte an der Dreisam (Buch)

Eine bemerkenswerte Nonne

Freiburg, Ende 1899. Das Weihnachtsfest steht vor der Tür, ebenso wie das Ende des 19. Jahrhunderts. In der Pfarrei St. Bernhard von Baden tritt die junge Schwester Johanna Maria aus dem Kloster Hegne am Bodensee ihre Stelle als Kindergärtnerin an, welche von Pfarrer Konrad Ernsthal geführt wird. Dessen Bruder Gebhard arbeitet bei der Kriminalpolizei, die dem großherzoglichen Staatsanwalt unterstellt ist. Gebhard hat es mit einem grausigen Mordfall zu tun, denn in der Nähe der Kaiserbrücke wurde eine Frauenleiche gefunden, deren Identität vorerst ungeklärt bleibt. Schwester Johanna erfährt derweil von einem Kind, dass in der Familie Meierhofer das Dienstmädchen vermisst wird. Beim gemeinsamen Mittagessen im Pfarrhaus erhält Gebhard die wichtige Information.

Eva Dischinger heißt die junge Frau, die erdrosselt wurde und im Haus des badischen Landtagsabgeordneten Meierhofer angestellt war. Zur Erleichterung von Gebhards Vorgesetzten, Kriminalkommissar Eugen Bollinger, scheint der Fall schnell geklärt zu sein, denn der Gefängnisinsasse Adolph Scheuer beschuldigt „Schrauben-Fritz“ der Tat. Dieser brüstete sich im Gefängnis damit, nach seiner Freilassung vor einem Monat, Frauen erwürgen zu wollen. Allein, Schrauben-Fritz ist nirgendwo zu finden. 

„Die Erlaubnis Ihrer Herrschaften vorausgesetzt, muss ich Sie fragen, wo Sie sich zur Tatzeit aufgehalten haben.“

„Ich… ich …“

„Reden Sie, Mann.“

„Ich weiß ja gar nicht, wann die Tatzeit gewesen ist. Mit Verlaub, Herr Kriminalkommissar.“

„Nun gut, dann wollen wir Sie einmal aus dem Kreis der Verdächtigen ausschließen.“

Schwester Johanna, die ein auffälliges Interesse an dem Mordfall hat, ist hingegen davon überzeugt, dass der Mörder in unmittelbarer Nachbarschaft der Meierhofers zu finden ist und somit im Haus des Grafen von Lindendamm, dessen Sohn Olaf ein recht merkwürdiger Charakter zu sein scheint. Als ein weiterer Mord geschieht, drohen sich die Ereignisse zu überschlagen. Zunächst erhängt sich Scheuer im Gefängnis und dann verschwindet Schwester Johanna spurlos.

Facettenreicher Roman

„Eiseskälte an der Dreisam“ von Christian Schlindwein, im Hauptberuf Pfarrer, entführt uns in das sechzigtausend Einwohner zählende Freiburg unmittelbar vor dem Jahrhundertwechsel, welches von zahlreichen Baustellen geprägt ist. Die Stadt wird sehr lebendig dargestellt, während der Kriminalfall überwiegend auf der Wache, im Pfarrhaus und den Häusern der Familien Meierhofer und von Lindendamm spielt. Die Figuren sind etwas arg klischeehaft geraten, gleichwohl sorgen sie damit auch für kurzweilige und vergnügliche Unterhaltung.

Gebhard Ernsthal ist ein durchaus fähiger Ermittler, lebt jedoch unter der strengen Fuchtel seines ebenso von sich überzeugten wie unfähigen Vorgestern Bollinger. Der hat sofort einen klaren Verdacht und versteht es später, die Erfolge für sich einzuheimsen. Derweil gelingt es Schwester Johanna nicht, ihre unstillbare Neugier und Abenteuerlust zu bändigen, wodurch sie sich nicht nur in Gefahr begibt, sondern zudem das Missfallen des Vikars auf sich zieht, der den Glauben mehr als eng auslegt. Er hätte bei der Heiligen Inquisition zweifelsohne seine Freude gehabt. „Unterhaltsam“ ist ebenfalls Graf von Lindendamm nebst Gattin, die sich über die zunehmende Belästigung durch den Pöbel echauffieren; gemeint ist die Badische Polizei in Person von Gebhard Ernsthal.

„Der Graf und die Leute, die in seiner Nachbarschaft wohnen, sind reiche Geschäftsmänner und Professoren. Sogar Abgeordnete sind darunter. Die haben mit dem Tod eines Hausmädchens nichts zu tun. Die bemerken nicht einmal, dass eines fehlt.“

Der Spannungsbogen ist aufgrund des mehr als überschaubaren Personaltableaus nicht der größte, gleichwohl hat sich der Autor eine gute Finte ausgedacht. Zu erwähnen wäre noch, dass der werte Graf und einflussreiche Reeder von fernen Ländern in Afrika träumt und die dortige Kolonialisierung durch Waffenlieferung mit Hilfe seiner Schiffe aus Hamburg vorantreibt. Wäre dieses unappetitliche Thema auch angesprochen, welches übrigens die aktuelle Ausgabe der „GEO Epoche“ (Nr. 135; Oktober 2025) ausführlich behandelt.

Eine vorwitzige und unerschrockene Nonne (wenngleich recht unrealistisch für die damalige Zeit, aber was soll’s), ein größenwahnsinniger Reeder, dessen nicht durchschaubarer Sohn, eine kleine Mordserie und ein Kriminalbeamter mit selbstverliebtem Chef sowie ein blasierter Vikar, bilden einen „sympathischen“ Figurenpool, deren Protagonisten man gern wiedersehen würde. Zum Abschluss sei daher der letzte Satz des Romans zitiert: „Wir werden gewiss wieder von Ihnen hören, Schwester.“

  • Autor: Christian Schlindwein
  • Titel: Eiseskälte an der Dreisam
  • Verlag: Gmeiner
  • Umfang: 320 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Oktober 2025
  • ISBN: 978-3-8392-0871-7
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt

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