Ralf Rothmann – Im Frühling sterben (Buch)


Ralf Rothmann - Im Frühling sterben (Cover © Suhrkamp)Da hat der Rezensent nun im Eildurchgang “Im Frühling sterben“ von Ralf Rothmann gelesen – nicht, weil er es so schnell lesen musste, sondern weil er es mit Genuss und Freude tat -, da erscheint in der altehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung ein wohl am Ende rohrkrepierender Debattenbeitrag von Roman Bucheli zu eben jenem Roman. Dieser stört sich nicht nur an der durchweg positiven Rezeption des Romans durch das deutschsprachige Feuilleton, sondern auch an den für ihn allzu durchschaubaren erzählerischen Mitteln und literarischen Motiven des Autors. Doch damit nicht genug: Nein, wie könne, so liest sich der Artikel, ein Roman eines Deutschen erscheinen, der eine eher naive Erzählposition einnehme und nicht in einem Bucheli genehmen Umfange über die Deportation und grausame Ermordung von Juden erzähle. Vielmehr sei man gezwungen, mit einem jungen Mann mitzuleiden, der im Februar 1945 noch an die Ostfront geschickt wurde, um sich dort verheizen zu lassen. Dies sei eine moralische Frage, an der sich weder Autor noch das Rezensentenvolk abgearbeitet hätten.

Puh, ja natürlich wird hier nicht vergessen, was war, was nachwirkt – und immer eine Aufgabe deutscher und europäischer Erinnerungskultur bleiben wird. Aber ganz ehrlich: Wenn man heute noch von jedem Roman, der irgendwo um die Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt, verlangt, dass er eine bestimmte Seitenzahl für die Schilderung der Grauen der Judenverfolgung einpreist, dann hat das mit Literatur und der Freiheit des Autors nichts zu tun. Zumal der Protagonist des Romans in keinster Weise verdächtig ist, Hitlerdeutschland ideologisch zu folgen. Es ist nur einer der zahllosen Jugendlichen, die in den letzten Kriegstagen auf grausame Art verheizt wurden. Und dass er zusammen mit all den anderen wird, das weiß der 17jährige Walter Urban ganz genau – denn er hört verbotenerweise den Feindesfunk. Und so ist ihr Gang an die Front eine Reise ohne eingeplante Wiederkehr. Sein enger Freund Fietje sagt dann auch ganz treffend: „Wir gehen sterben“. Wenn es stimmt, dass uns Ralf Rothmann zumutet, mit diesen beiden deutschen Männern, die ohne jegliche Sympathie für den nationalsozialischen Spackenquatsch, an die Front müssen und dort als Soldaten sicherlich den ein oder anderen Feind töten werden, Mitleid zu haben, dann steht der Rezensent zu diesem Mitleid. Auch dass Walter Urban zeit seines Lebens mit der Ungewissheit leben muss, ob er seinen fahnenflüchtigen Freund Fietje erschossen hat, oder ob in seinem Geweh „nur“ eine Platzpatrone war und die tödlichen Kugeln aus den Gewehren der anderen Soldaten abgefeuert wurden. Dass Rothmann mit diesem Roman aber eine Art von Landserromantik entwirft oder gar propagiert, ist, zumindest für die Lesart des Rezensenten, Quatsch.

Eingebettet sind diese Schilderungen in eine Rahmenhandlung. Der Erzähler berichtet vom Tode seines Vaters und dem immer größer werdenden Raum der Stille und Sprachlosigkeit zwischen beiden – speziell, wenn es um seine Zeit und Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges geht. Dass der Vater kein eingefleischter Nazi war, aber dennoch sein ganzes Leben lang mit der Schuld leben musste, als Soldat eingezogen worden zu sein und überlebt zu haben, das ist das große Thema dieses Romans. Sicher: Der Vater war kein Wiederstandkämpfer – er war einfach nur ein Melker und eigentlich heilfroh, dass die Alliierten kurz vor der Befreiung Deutschlands standen. Doch warum sollte Rothmann in dieser literarischen Fiktion einen wahren Helden, den Kämpfer für das Schöne, Reine und Gute erfinden? Weil es unseren moralischen Vorstellungen eher entspräche? Wobei die Frage gestellt werden muss, ob die Entsprechung tatsächlich so ohne Weiteres moralisch richtig oder einfach nur verlogen wäre?!? Verlangen wir wirklich von einem 17-jährigen, dass er sich seiner Rekrutierung widersetzt, wohl wissend, dass er damit sofort erschossen würde? Wir, die wir Politiker dulden, die fordern, Notrufe von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer einfach zu ignorieren? Wir, die wir uns jetzt mit Literatur beschäftigen, anstatt uns den Spacken, die sich laut gröhlend herausnehmen, das sogenannte christliche Abendland zu vertreten, entgegenzustellen?!? Wenn wir uns also akzeptieren, dann können wir uns auch mal reinen Gewissens einem literarischen Werk widmen, das den scheinbaren Automatismen NS-Zeit-Roman nicht genügt. Wie der Mensch ist, das wird diese Rezension ganz sicher nicht klären können. Wie das Buch “Im Frühling sterben“ ist, das lässt sich ansatzweise klären: Kein Meisterwerk, als das es hin und wieder mal in der Kritik hingestellt wurde – aber ein guter, ein mitreißender Roman ist “Im Frühling sterben“ allemal. Vielleicht wünschte man sich an der ein oder anderen Stelle einen klug reflektierenden Erzähler, doch die von Rothmann gewählte Erzählperspektive könnte dies nicht literarisch glaubwürdig leisten.

Wer für seinen eigenen Wertekompass noch einen eichenden Nordpol braucht, der mag während der Lektüre dieses Romans die angesprochene Rezension aus der Neuen Zürcher Zeitung heranziehen. Rothmanns Sprache ist elegant, sie kennt kaum lässliche Schnörkel, verfällt leider ab und an mal in ein sprachliches Klischee und tatsächlich hätte man die ein oder andere allzu gutmenschliche Szene auslassen können – wobei: Wenn sie sich tatsächlich so abgespielt hat, dann gehört sie rein und wenn nicht, dann ist sie interpretierbar als unbändiger Wunsch des Sohnes, dass sich sein Vater in dieser Situation so verhalten habe möge. Wenn der Vater im Großen kein Held war, sondern nur ein Überlebender, dann möge sich das Heldentum doch bitte im Kleinen abgespielt haben – und das ist tatsächlich rührend, allerdings ohne die klebrige Sentimentalität der von Bucheli genannten Rührstücke zu erreichen.

Wertung: 10/15 dpt


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