Jürgen Heimbach – Waldeck (Buch)


Kriegsverbrecher mitten unter uns

Waldeck
© Unionsverlag

Der Journalist Ferdinand Broich hat sich auf die Suche nach ehemaligen Kriegsverbrechern spezialisiert, ist jedoch in Ungnade gefallen, da er zuletzt auf gefälschtes Material hereinfiel. Nun wittert er eine neue Geschichte, die ihn wieder zurückbringen soll. Ruth Lachmann, KZ-Überlebende aus München, glaubt, einen Zahnarzt wiedererkannt zu haben, der in einem Konzentrationslager an grausamen Verbrechen beteiligt war und nun eine eigene Praxis betreibt. Damals hieß er Gernot Tromnau, jetzt nennt er sich Ulrich Fischer.

Frau Lachmann treffen?“
„Ja. Und ich werde mir diesen Tromnau alias Fischer anschauen.“
„Broich. Ich will Sie warnen. Diese Menschen haben viel zu verlieren. Sie haben
gezeigt, dass ihnen Menschenleben nichts bedeuten. Auch als Ärzte nicht.

Broich macht sich auf den Weg nach München, um mit Frau Lachmann zu sprechen, doch als er vor deren Wohnung steht, teilt man ihm mit, dass diese vor drei Tagen verstorben und die Wohnung bereits leergeräumt sei. Ein seltsamer Zufall oder fühlte sich da jemand tatsächlich in die Enge gedrängt? Derweil findet Fischers Tochter Silvia eine Aktentasche, deren Inhalt den Vater schwer belasten. Als Arzt habe er einen Eid geschworen, erklärte er ihr einmal, hätte sich daher nie an Kriegsverbrechen beteiligen können. Die Fotos in der Aktentasche belegen das Gegenteil.

Während Broich versucht an weitere Informationen zu kommen, ergreift Silvia die Flucht zu einer Bekannten in Frankfurt. Ihr Vater gerät anlässlich der kompromittierenden Fotos in Panik, was, wenn seine Tochter diese an die Polizei oder gar die Presse weitergibt? Ausreden über die Kriegsverbrechen gibt es keine mehr, denn der Prozess gegen Adolf Eichmann und dessen spätere Hinrichtung haben weite Teile der Öffentlichkeit wachgerüttelt. Fischer bittet seinen alten Kameraden Edgar Winter um Hilfe, der einst als SS-Polizist und später beim BND arbeitete. Winter löst Probleme, dabei waren ihm Menschenleben schon immer egal.

Packende Geschichtsstunde

Auf Burg Waldeck im Hunsrück fand vom 15.-21. Mai 1964 ein Musikfestival statt, welches die finale Kulisse für den vorliegenden Roman liefert. Hier treffen sich zum Showdown jene, die bis dahin überlebt haben, denn bei aller thematischen Ernsthaftigkeit vergisst Jürgen Heimbach (“Vorboten“) nicht, mit dem einen oder anderen Todesfall auch den Krimiplot ordentlich voranzutreiben. Ferdinand Broich, einen der Protagonisten, mag man übrigens noch aus „Die Rote Hand“, in der es um den Algerienkrieg und die FLN sowie deren Umtriebe in Deutschland geht, in Erinnerung haben.

In „Waldeck“ geht es vorrangig um die Atmosphäre im Deutschland der fortgeschrittenen Nachkriegszeit der 1960er Jahre. Die Eltern sprechen nicht über den Krieg und wenn war man allenfalls Zaungast, keineswegs aber an Verbrechen beteiligt. Jene, die doch beteiligt waren und es waren bekanntlich nicht wenige, fanden wenige Jahre nach Kriegsende wieder Beschäftigung in ihren alten Berufen. Insbesondere der Bundesnachrichtendienst unter Leitung von Reinhard Gehlen (ehemals Chef der Fremde Heere Ost) nimmt die alten Kameraden mit Freude auf (diesbezüglich sehr lesenswert: „Ritchie Girl“ von Andreas Pflüger).

Der Kalte Krieg ist da, die Kommunisten sind der neue Feind. Nicht wenige ältere Menschen begegnen jungen Leuten, die von ihrem eigenen Leben träumen und sich nicht länger von ihren Eltern vorschreiben lassen wollen, was sie zu tun und vor allem, wen sie zu heiraten haben, mit unverhohlener Abneigung. „Gammler“, „Kommunisten“, dann noch die längeren Haare, diese schreckliche Musik und wieso wühlt der Fritz Bauer das längst Vergessene eigentlich alles wieder auf? Intensiv und bedrückend wird die miefige Ära eingefangen, ebenso wie die Aufbruchversuche zweier junger Frauen, die von der großen Liebe träumen; weit abseits von dem, was sich ihre autoritären Eltern darunter vorstellen.

Das Verdrängen der Kriegsverbrechen, „irgendwann muss es doch auch mal gut sein“, ein Leben in erneutem Wohlstand als wäre nie etwas gewesen und das dröhnende Schweigen gegenüber der nachkommenden Generation, sind einige der Ingredienzien von „Waldeck“. Ein nachdenklich stimmender Plot, der über das Romanende hinauswirkt und noch dazu ein temporeicher Krimi. Wer sich für deutsche Zeitgeschichte interessiert, sollte zugreifen.

  • Autor: Jürgen Heimbach
  • Titel: Waldeck
  • Verlag: Unionsverlag
  • Umfang: 352 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: März 2024
  • ISBN: 978-3-293-00607-2
  • Produktseite


Wertung: 13/15 dpt


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