Douglas Westerbeke – Die unendliche Reise der Aubry Tourvel (Buch)


Ende des 19. Jahrhunderts in Paris: Aubry Tourvel ist neun Jahre alt, als sie schwer erkrankt. Von da an kann sie nie länger als drei Tage am selben Ort bleiben, ohne dass die Krankheit ausbricht und sie die Wahl hat an dieser zu sterben oder weiter zu ziehen. So umreist sie mehrmals die gesamte Welt, erlebt wahnwitzige Abenteuer, trifft die unterschiedlichsten Menschen, verliebt sich, schließt Freundschaften und leidet aber auch immer wieder sehr unter Einsamkeit und dem Zwang weiterziehen zu müssen und nie ein Zu Hause zu haben. Erst ganz am Ende ihres Lebens kommt sie ihrer Krankheit ein Stück weit auf die Spur. 

Märchenhaft, etwas skurill und leicht verschroben beginnt Aubrys Geschichte und zog mich sofort in ihren Bann. Man schließt die kleine Aubry sofort ins Herz und der Autor schafft es sehr gut, ihre Zerrissenheit und die ihrer Familie in Worte zu fassen. 

Meine Begeisterung hielt aber leider nur an bis Aubry ungefähr sechzehn Jahre alt war. An diesem Punkt wird nämlich leider sehr deutlich, dass das Buch von einem Mann geschrieben wurde, der den male gaze in Film und Literatur nicht gut reflektiert hat. Sie nutzt nämlich ihre “mädchenhaften Reize”, wird zur Verführerin eines dreimal so alten Mann stilisiert, erlebt sexuelle Gewalt und wird fast umgebracht – und das alles unter dem Deckmantel der “wahren Liebe”. Über dieses Kapitel könnte ich wohl hinwegsehen, wenn sich ab dann nicht ständig alles immer nur um sexuelle Begegnungen irgendeiner Art handeln würde. Selbst die Freundschaft zu einer Frau musste offenbar sexuell aufgeladen werden, indem diese verliebt in Aubry ist und sie hin und wieder eindeutige körperliche Nähe sucht. 

“Für jede Phase ihres Lebens schien es eine Liebe zu geben, die ihr genau entsprach, die das verkörperte, was sie brauchte, ob sie es wusste oder nicht.”

Es ist nicht so, dass Aubry extrem promiskuitiv ist – die romantischen und sexuellen Begegnungen ereignen sich über Jahrzehnte hinweg und an oben stehendem Zitat wird deutlich, dass der Autor diese als roten Faden nutzt. Leider wirken sie, dadurch dass fast jedes Kapitel mit einer anderen Romanze endet, sehr geballt und für andere Handlungsstränge, wie zum Beispiel die Erforschung von Aubrys Krankheit bleibt nur sehr wenig Platz. Dazu kommt, dass sich mir nicht so wirklich erschließt, wie eine gewalttätige Beziehung für eine Sechzehnjährige das gewesen sein soll, was sie brauchte. 

Ein weiteres Beispiel für die mangelnde Reflexion des male gaze im Buch ist wohl auch, dass Aubry eine wunderbare Zeit in einem Bordell mit Prostituierten verbringt, die alle freiwillig ihren Beruf gewählt haben und damit reich werden … 

Eingebettet sind diese Szenen jedoch nach wie vor in eine Welt, die unserer Welt im 19. Jahrhundert entsprechen soll, aber um einiges fantastischer und märchenhafter ist. An dem Worldbuilding allgemein hatte ich viel Freude. 

Diese reichte aber leider nicht um darüber hinweg zu retten, dass die Handlung sich irgendwann verflüchtigte. Douglas Westerbeke war bisher als Drehbuchautor tätig und genau den Eindruck hatte ich irgendwann: Die einzelnen Kapitel ließen sich wunderbar cineastisch in Szene setzen, wirken beim Lesen aber so als seien sie lose aneinander geklöppelt, was dazu führt, dass es sich irgendwann sehr zieht. Die ständigen Zeitsprünge und Rückblicke, die nicht immer sofort erkennbar sind, tragen da ihres zu bei. Dazu steht auf der Verlagsseite, dass Westerbeke in einer der größten Bibliotheken der USA arbeitet und es liebt zu reisen. All diese Vorlieben scheint er in diesem Buch verpacken zu wollen – gelingt nur leider nicht so wie gewollt und eine wirkliche Auflösung des großen Rätsels um Aubrys Krankheit bleibt er uns auch schuldig. 

Einzelne Bücher, zum Beispiel eines über ein Mädchen, die zum Reisen gezwungen ist und eines über eine besondere Bibliothek, hätten mir besser gefallen. 

Cover Copyright: Harper Collins

  • Autor: Douglas Westerbeke
  • Titel: Die unendliche Reise der Aubry Tourvel
  • Originaltitel: A Short Walk Through A Wide World
  • Übersetzer: Alexander Weber
  • Verlag: Harper Collins
  • Erschienen: 2024
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 464
  • ISBN: 978-3-365-00485-2
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite
  • Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 5/15 dpt


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