Ralf H. Dorweiler – Der Herzschlag der Toten (Buch)


Jack the Ripper in Hamburg oder so ähnlich

April 1887. Ein Arbeiter findet in einem leerstehenden und abbruchreifen Kontor die Leiche einer jungen Frau. Ihr Anblick ist entsetzlich, denn zahlreiche Messerstiche in ihrem Rücken zeigen ein Ausmaß unvorstellbarer Zerstörungswut. Hermann Rieker, vierunddreißig Jahre jung und drei Tage zuvor zum Criminalcommissar befördert, steht vor seinem ersten Fall. Sein Chef, Criminalinspektor Karl-Wilhelm von Stresenbeck hat Zweifel, ob Rieker dem Fall gewachsen ist, denn dieser wurde auf Protektion seines Vorgängers befördert. Drei Tage gibt ihm von Stresenbeck, um den Fall zu lösen, dabei ist zunächst völlig unklar, um wen es sich bei der Toten überhaupt handelt.

Johanna Ahrens, dreiundzwanzig, ist die wohlhabende und verwöhnte Tochter des Richters Hans Ahrens, einem der Honoratioren der Stadt. Die junge Frau sieht aber auch die allgegenwärtige Armut und hat daher ein wertvolles Schmuckstück veräußert, um heimlich eine Schule zu eröffnen, in der sie selbst zehn junge Frauen aus einfachsten Verhältnissen das Schreiben und Rechnen beibringt. Eine ihrer Schülerinnen, Ansje Kalferer, fehlt beim Unterricht, weswegen Johanna die Polizei aufsucht. Gemeinsam mit Rieker, dem sie ihre familiäre Abstammung verschweigt, kann die Ermordete als Ansje identifiziert werden.

Rieker, den seine Ermittlungen schon bald zum gefürchteten Zuhälter Achtfinger-Jens führen, stellt wiederholt verärgert fest, dass Johanna eigene Nachforschungen anstellt. Als ihr die Idee kommt, von Ansje ein Foto erstellen zu lassen und dazu den Totenfotografen Jakob Eilers aufsucht, macht dieser bei der Vorbereitung seiner Aufnahmen eine außergewöhnliche Entdeckung. Nicht nur wurde mit vierzig, fünfzig Messerstichen Ansjes Rücken regelrecht zerfetzt, ihr wurde auch das Herz entfernt.

Rieker hat zudem mit Commissar Emil Breiden zu kämpfen, ein älterer Ermittler, der dem jungen Emporkömmling den Erfolg neidet. Er meint, dass Rieker sein Straßengeruch anhänge und er diesen nie loswerden würde. Tatsächlich sollte Riekers familiärer Hintergrund besser unbekannt bleiben. Derweil macht der Staatsanwalt Norbert Scheermann Johanna den Hof, sehr zur Freude von deren Mutter. Allerdings fürchtet Johanna alsbald, dass es sich bei dem adretten Juristen um Ansjes Mörder handeln muss.

Gelungener Serienstart? Wäre schön!

Ralf H. Dorweiler ist Lesern historischer Romane sicher bekannt („Die Uhrmacher der Königin“ oder „Der Gesang der Bienen“). Mit „Der Herzschlag der Toten“ liegt nun laut Buchrücken „der erste Fall für Hermann Rieker und Johanna Ahrens“ vor, was erwarten lässt, dass weitere Fälle folgen werden. Der letzte Satz des Romans bestätigt diese Einschätzung, denn da teilt Johanna Rieker mit, dass sie Zeugin eines Mordes geworden sei. Eine Fortsetzung für das sympathische „Paar“ oder womöglich gar ein Serienstart? Wünschenswert wäre beides.

Zum Inhalt ist bereits genug ausgeführt, zu den Protagonisten soll noch einiges erwähnt werden. Johanna und Rieker wechseln sich jeweils ab, wobei über sie in der dritten Person erzählt wird. Johanna steht als selbstbewusste Frau mit Liebe zur Literatur, Baudelaire hat es ihr besonders angetan, und einem Hang zur Gerechtigkeit für die moderne Frau im auslaufenden 19. Jahrhundert. Sozialistische Ideen sind ihr nicht fremd, jungen Frauen aus prekären Verhältnissen ein wenig Bildung und damit Aufstiegschancen zu geben, ein inneres Bedürfnis. Allein, ihre Eltern dürfen davon nichts erfahren, ein Ohnmachtsanfall der Mutter wäre die mildeste Folge. Rieker hat seinerseits einige dunkle Geheimnisse, die hier nur angedeutet und vermutlich in einem zweiten Fall näher ausgeführt werden. So viel wird klar, er stand nicht immer auf der Seite des Gesetzes und war als Boxer durchaus erfolgreich.

Über Jakob Eilers erhält man intensive Einblicke in die Anatomie und vor allem die Totenfotografie. Letzteres erinnert ein wenig an den Geisterfotografen Hieronymus Holstein, der im Wien der 1870er Jahre ermittelt (Autor ist Bastian Zach). Eilers geht mit seinen Ausführungen arg ins Detail, für vermeintlich zarte, junge Damen wie Johanna sind seine Worte eigentlich nicht bestimmt, doch diese trotzt ja bekanntlich den gesellschaftlichen Erwartungen. Der Spannungsbogen bleibt konstant oben, wenngleich man dank Johannas früher Erkenntnis über Ansjes vermeintlichen Mörder ins Zweifeln gerät. Kann es wirklich so simpel sein? Genreüblich folgt eine zweite, grausam zugerichtete Frauenleiche, das Opfer ist eine Prostituierte, Jack the Ripper lässt grüßen, und plötzlich befinden sich die beiden Protagonisten, allen voran natürlich Johanna, selbst in höchster Gefahr. Apropos Jack the Ripper: Dessen Identität wird am Ende des Romans aufgeklärt. Zumindest fiktiv, wie der Autor im Nachwort einräumt.

  • Autor: Ralf H. Dorweiler
  • Titel: Der Herzschlag der Toten
  • Verlag: Goldmann
  • Umfang: 416 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Oktober 2024
  • ISBN: 978-3-442-49493-4
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Wertung: 12/15 dpt

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