Dex und Helmling erzählen Geschichten für alle, die an eine bessere Welt glauben
Ihr braucht Abstand zu den politischen Katastrophenmeldungen? Die allgemein schlechte Stimmung zieht Euch herunter und ihr braucht mal wieder einen positiven Blick in die Zukunft? Dann sind die beiden „Dex und Helmling“ Kurzromane von Becky Chambers, „Ein Psalm für die wild Schweifenden“ und „Ein Gebet für die achtsam Schreitenden“ vielleicht gerade genau richtig.
Der Schauplatz der Geschichte um Dex und Helmling ist der kleine Mond Panga, der um den Planeten Motan kreist. Die Menschen überwanden das Fabrikzeitalter und leben seit der Zeitenwende im Einklang mit der Natur. Fünfzig Prozent der Mondoberfläche überließen sie der Fauna und Flora. Die von Menschen erschaffenen Roboter erwachten und verabschiedeten sich in die Wildnis. Seither hat kein Mensch je wieder einen Roboter gesehen und ihre Existenz verblasst langsam zum Mythos.
Ein erfülltes Leben, dem etwas fehlt
Geschwister Dex pflegt den Garten seines Klosters in der Stadt und lebt ein erfülltes und spirituelles Leben. Obwohl die Stadt eine Wohlfühloase und ein inspirierender Ort ist, fehlt Dex hier etwas: der Gesang der Grillen. Wo auf Panda kann man ihn hören?
Dex beschließt fortan als Teemönch zu arbeiten und mit einem Fahrrad und Wohnwagen über die Lande zu ziehen. In den Dörfern baut er für einige Tage sein Zelt auf und bietet den Bewohnenden Teezubereitungen und sein Ohr für Sorgen und Gespräche an. Doch den Gesang der Grillen hört er auch hier nicht. Also beschließt Dex Wege zu beschreiten, die den Menschen seit der Zeitenwende verboten sind: Es zieht ihn in die Wildnis. Sein Ziel ist die Ruine der Einsiedelei Hart’s Brow. Doch der erste Stopp auf unwegsamen Gelände ändert alles: Dex begegnet Helmling, einem Roboter.
Helmling wurde von den Robotern ausgeschickt, um herauszufinden, was die Menschen benötigen und wollen. Gemeinsam begeben sich Dex und Helmling auf eine Reise, die sie mit jedem Gespräch, jedem Konflikt und jedem Kontakt Schritt für Schritt einer Antwort näherbringt.
Hopepunk as it‘s best
Unter Hopepunk-Literatur verstehen wir eine Spielart der Utopie, die ihren Schwerpunkt auf zukünftige Gesellschaftsformen legt. Wesen mit Bewusstsein finden trotz ihrer unterschiedlichen Bedürfnisse Wege neugierig und freundlich aufeinander zuzugehen und sich gegenseitig zu respektieren. Während Chambers „Wayfarer“ Buchreihe (Band 1: Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten) von Raumfahrenden und Reisen zu fernen Punkten des Weltalls erzählt, spielt die „Dex und Helmling“ Handlung ausschließlich auf dem Mond Panga. Die menschliche Gesellschaft ließ mit der Zeitenwende Ausbeutung, Kapitalismus und Klassismus hinter sich.
Protagonist Dex ist ein spiritueller Mönch, der seinen Dienst an den Menschen liebt und ein erfülltes Leben führt. Und dennoch sucht ser nach etwas, das sirem Leben fehlt. Der Roboter Helmling befindet sich auf einer ähnlichen Quest wie Dex. Als sich ihre Wege kreuzen und sie gemeinsam weiterziehen, beginnt eine Zeit mit vielen Perspektivwechseln und Fragen, erhellenden Gesprächen und inspirierenden Begegnungen.
Neo-Pronomen und gendersensible Sprache
Dex ist nicht binär. Becky Chambers und die Übersetzerin Karin Will verwenden für Dex Neopronomen, im englischen Text „they“ und in der deutschen Übersetzung „ser“. Da die Geschichten beider Kurzromane ausschließlich aus Dex‘ Perspektive erzählt werden, kommen die Neopronomen häufig und in verschiedenen Flexionen vor: sir, sihn, sihm, sire, sirer, sirem. Das liest sich zu Beginn von „Ein Psalm für die wild Schweifenden“ ungewohnt, passt jedoch sehr gut zu Dex und anderen nicht binären Personen. Und spätestens im zweiten Band „Ein Gebet für die achtsam Schreitenden“ wirkt es natürlich und selbstverständlich. Hier werden konsequent überkommene maskuline Strukturen und duale Geschlechterdogmen überwunden und dies sprachlich und literarisch umgesetzt.
Warum Becky Chambers und Ursula K. Le Guin oft in einem Atemzug genannt werden
Die „Dex und Helmling“ Kurzromane las ich unmittelbar nach Ursula K. Le Guins fulminanter Kesh-Saga „Immer nach Hause“. Diese Geschichten-Sammlung charakterisiert die Kultur eines fiktiven Volks, welches die Autorin zeitlich nach der Klima-Apokalypse im Nappa-Valley in Kalifornien angesiedelte und an die Native American anlehnte. Gleichwohl es in allen Science-Fiction Romanen Le Guins um eine bessere, gesellschaftliche Zukunft geht, ist „Immer nach Hause“ sicherlich das Werk, dass am intensivsten Hopepunk-Atmosphäre atmet. Ursula K. Le Guin erweist sich als Visionärin, die bereits vor vierzig Jahren eine Literaturgattung schrieb, die sich erst in den letzten zehn Jahren als Genre etablierte. Und deren vielleicht bekannteste Vertreterin derzeit Becky Chambers ist.
Bücher für eine freie und humane Zukunft
Die „Dex und Helmling“ Romane erzählen eine gute Geschichte mit vielen spannenden, visionären Ideen: zum Beispiel der Währung „Kiesel“, die für Dienstleistungen getauscht wird, aber kein Kapital darstellt. Manchen Gedanken mag man vielleicht als philosophisch empfinden, wie zum Beispiel das Winns Paradoxon, welches beschreibt, dass das Leben mit sich selbst in Konflikt steht. Aus Ideen, Gedanken und der besonderen Beziehung zwischen Dex und Helmling ziehen die Romane ihren Unterhaltungswert, nicht aus Gut gegen Böse, Gewinnen und Verlieren. Und somit plädieren sie für eine gerechte und menschlichere Zukunft. Ganz im Sinne von Ursula K. Le Guins Rede bei den National Book Awards 2014:
- Autorin: Becky Chambers
- Titel: „Ein Psalm für die wild Schweifenden“ und „Ein Gebet für die achtsam Schreitenden“
- Teil/Band der Reihe: Dex und Helmling, Band 1 &2
- Übersetzerin: Karin Will
- Verlag: Carcosa Verlag
- Erschienen: 01/2025
- Einband: Hardcover mit Lesebändchen
- Seiten: 188 und 182
- ISBN: 978–3‑910914–10‑0 und 978–3‑910914–12‑4
- Sonstige Informationen:
- Produktseite für Band 1 und Band 2

Wertung: 14/15 dpt