Wem der Titel des Erzählbandes „Sterben in deinem Geweih“ von Gerrit Wustmann bereits irgendwie seltsam anmutet, der liegt zu 100% richtig. Allerdings im unterhaltsamsten aller skurrilen Sinne. Mit seinen insgesamt zwölf Erzählungen auf gut 320 Seiten schöpft Wustmann aus dem Vollen seines phantastischen Erzählbaukastens.
Mal wird es magisch-realistisch, wenn in „Der magische Handstaubsauger“ eine Frau die übersinnlichen Fähigkeiten ihres Haushaltsgeräts entdeckt und damit ihre Eheprobleme löst, mal humorig-kriminalistisch, wenn Wustmann mit der Erzählung „Falschere Fährten“ das Krimi-Genre kolportiert oder auch richtig horror-mäßig düster wie in „Die hinteren Plätze“ oder in „Der alte Schatten“.
Wustmann spielt mit den Genres, mit intertextuellen Bezügen und den Erwartungshaltungen der Leser:innen, denen er einen Cliffhanger nach dem nächsten serviert, ohne dass man es ihm übelnehmen kann. Denn so gelingt ihm, dass das Gelesene besonders lange und besonders intensiv nachhallt. Jede Erzählung wird zur Einladung selbst zu spekulieren und das Offengebliebene weiterzuspinnen.
Manchmal entpuppt sich das vermeindlich Übersinnliche als reale Bedrohungslage („Nasse Hunde“). Sehr oft lässt der Autor aber auch den Realitätsgehalt bewusst in der Schwebe. Immer wieder demaskiert er die Illusion unser Alltagssicherheiten. In der Science-Fiction Erzählung „Glaube“ lenkt er unseren Blick sogar über den Rand des Universums hinaus, wobei die Erkenntnis der Wahrheit das Ende aller Sicherheit bedeutet.
Die Annahme, der Mensch sei […] das intelligenteste, also an
der Spitze stehende Lebewesen,die am weitesten entwickelte Spezies, hielt sich
hartnäckig.Sie war der Gipfel der Hybris des Menschen.Denn tatsächlich
stimmte ja das leicht belegbare Gegenteil. Der Homo sapiens war (und ist) der
Tiefpunkt der Schöpfung, und zwar, ob man sie biologisch oder theistisch
versteht.In der gesamten Erdgeschichte war er die einzige Spezies, die nicht
nur aktiv den eigenen Lebensraum vernichtete,sondern dabei auch noch wusste,
was sie tat.Ein solches Ausmaß an Dummheit hat keine andere Spezies zuvor oder
danach hervorgebracht.
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Hinter den verspielten Volten des Autors lauern reale, ernste Themen, konkrete Traumata oder in uns allen wohnende Ängste. Wustmann kitzelt das Unbehagen hervor, das im Alltag gut verschleiert hinter Wohlstand und Gewohnheit sitzt, und lässt uns balancieren zwischen Genuss am Horror und offenem Schrecken. Er spart dabei nicht mit an Kritik an Gesellschaft und dem System.
Sprachlich bewegt sich Wustmann mit großer Sicherheit durch seine Texte. Sowohl Dialoge weiß er pointiert in Szene zu setzen als auch seine Prosa mit großer Klarheit auszustatten. Egal welches Setting er gerade inszeniert, es gelingt ihm stets ab Satz Eins, die dazu passende Atmosphäre zu erzeugen. Seine Geschichten entfalten eine enorme Sogwirkung. Wustmann bietet Tiefgang mit großem Unterhaltungswert.
- Autor: Gerrit Wustmann
- Titel: Sterben in deinem Geweih
- Verlag: sujet Verlag
- Erschienen: März 2025
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 326 Seiten
- ISBN: 978-3962021474
Wertung: 14/15 dpt
