Der Literaturpodcast „Autorinnen im Porträt“ rückt in jeder Episode eine Schriftstellerin in den Fokus. Dabei schauen wir auf das Leben der Autorin und auf ihr Werk. Wer wir sind? Mariann Gáborfi und Sarah Teicher aus Leipzig. Wir sind auch Redakteurinnen bei Booknerds.de und haben deshalb beschlossen, zu dem im März 2022 gegründeten Podcast eine begleitende Kolumne zu schreiben. (Alle Folgen der Kolumne im Überblick.)
In dieser Kolumne widme ich mich der wohl bekanntesten Kinderbuch-Autorin der Welt. Astrid Lindgrens Geschichten über Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga oder Ronja Räubertochter prägen ganze Generationen. Doch bevor sie zur Ikone der Kinderliteratur wurde, durchlebte sie selbst eine Jugend voller Herausforderungen, traf mutige Entscheidungen und schrieb in dunklen Zeiten gegen das Vergessen an.

Eine Kindheit voller Freiheit – ein Leben voller Verantwortung
Geboren 1907 in Småland, wuchs Astrid Ericsson in einer Umgebung auf, die gleichzeitig von Tradition und von einer außergewöhnlich modernen Erziehung geprägt war. Ihre Eltern gaben ihr und ihren Geschwistern eine große Freiheit – eine Art von Kindheit, die in ihren späteren Werken immer wieder lebendig wurde. „Wir kletterten wie die Affen auf Bäume und Dächer“, erinnerte sie sich später. In einer Zeit, in der Kinder oft zur Disziplin erzogen wurden, erlebte Astrid eine Art von Antiautorität, die heute als Vorbild für viele Eltern gilt. Kein Wunder also, dass Pippi Langstrumpf mit ihrer unbändigen Freiheit, ihrem kreativen Chaos und ihrer Weigerung, sich Erwachsenenregeln zu unterwerfen, noch heute als revolutionär empfunden wird.
Trotz ihrer frühen schriftstellerischen Begabung nahm ihr Leben nach dem Schulabschluss eine harte Wendung. Als Volontärin bei einer Lokalzeitung begann sie eine Beziehung mit ihrem viel älteren Chef Reinhold Blomberg – eine Liaison, die nicht ohne Folgen blieb. 1926 wurde sie unehelich schwanger, eine gesellschaftliche Katastrophe in Schweden jener Zeit. Um den Skandal zu vermeiden, reiste sie nach Kopenhagen, wo sie ihren Sohn Lars unter schwierigen Umständen anonym zur Welt brachte. Erst vier Jahre später konnte sie ihn zu sich nehmen, was erneut für Aufsehen sorgte. Einen Heirats-Antrag von Blomberg lehnte sie ab, was zu der Zeit mehr als mutig war, denn eine Heirat galt auch zu der Zeit noch als Absicherung. Astrid bevorzugte es jedoch, selbst arbeiten zu gehen und erarbeitet sich ihre Freiheit lieber selbst.
Chronistin des Krieges: Die andere Seite von Astrid Lindgren
Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie in der schwedischen Briefzensur. Dort las sie die Briefe von Soldaten, jüdischen Familien und verzweifelten Frauen. Diese Zeit hinterließ tiefe Spuren. Entsetzt über das menschliche Leid, begann sie heimlich Tagebuch zu führen – eine Sammlung von Eindrücken, die erst Jahrzehnte später unter dem Titel „Die Menschheit hat den Verstand verloren“ veröffentlicht wurde. Darin zeigt sich Lindgren von einer Seite, die viele nicht kannten: nicht als humorvolle Kinderbuchautorin, sondern als scharfsinnige Beobachterin eines Europas im Untergang. Ihre Einträge, voller Empathie und Entsetzen, sind eine Mahnung an uns alle und haben mich bei der Recherche sehr mitgenommen und abgeholt – gerade heute, da Kriege und Krisen erneut die Welt erschüttern.
Ronja Räubertochter – Eine Geschichte über Freiheit und Mut
In unserer Folge gehen wir auch konkret auf das Werk Ronja Räubertochter ein, das 1981 im Oetinger Verlag veröffentlicht wurde und Astrids unglaublichen Freiheitsdrang wunderbar widerspiegelt. Wir sehen in der Geschichte weit mehr ist als ein Abenteuermärchen. Ronja wächst in einer Welt voller Gegensätze auf: Ihre Familie ist Teil einer alten Räubertradition, doch sie selbst stellt diese Werte infrage. Sie entdeckt den Wald als ihren Lebensraum, als Ort der Freiheit, der Schönheit, aber auch der Gefahren. Genau diese Mischung macht das Buch so bedeutend: Es zeigt den Konflikt zwischen Tradition und Selbstbestimmung, zwischen Angst und Mut, zwischen Feindschaft und Versöhnung. Ronja widersetzt sich den Regeln ihrer Familie und entscheidet sich für ihren eigenen Weg – eine Botschaft, die heute aktueller ist denn je. Für mich ist Ronja Räubertochter ein starkes Plädoyer für Eigenständigkeit, für das Überwinden von Grenzen und für das Recht, seinen eigenen Platz in der Welt zu finden.
Astrid Lindgren war weit mehr als die Erfinderin frecher Kinderbuchfiguren. Sie war eine Frau, die sich gegen gesellschaftliche Normen stellte, sich nicht dem Erwartungsdruck beugte und politische Haltung zeigte. Sie kämpfte für Tierrechte, gegen die Prügelstrafe und für soziale Gerechtigkeit. Ihre Bücher waren nie nur schöne Geschichten – sie enthielten eine tiefe Botschaft von Freiheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit. In einer Zeit, in der der Ruf nach klaren Werten und Haltung wieder lauter wird, lohnt es sich, Astrid Lindgren nicht nur als Kinderbuchautorin zu lesen, sondern als eine Frau, die mit ihren Worten die Welt verändern wollte.
Habt ihr auch Bücher von ihr gelesen, die euch besonders in Erinnerung geblieben sind oder geprägt haben? Schreibt uns dazu gerne auf Instagram. Wir freuen uns immer von euch zu lesen! 🙂
Winterliche Grüße sendet euch in eure gemütliche Bücherecke
Eure Mariann