
Ein Dorf in den 60er Jahren, eine von Landwirtschaft und zartem Tourismus geprägte Gesellschaft, in dieser Umgebung wächst Maria, die Protagonistin in Dolovais Roman „Dorf ohne Franz“ auf. Die Autorin lässt Maria selbst erzählen. Und so berichtet diese dann auch ganz direkt, nüchtern, fast sachlich, so schmucklos wie ihr Leben tatsächlich verläuft. Marias Lebenserzählung setzt in der Kindheit an. Sie ist eins von drei Geschwistern, die einzige Tochter neben Josef, dem großen, und Franz, dem kleinen Bruder.
Als Mädchen hat sie es besonders schwer. Der Vater bevorzugt Josef, den älteren Sohn, die Mutter liebt Franz, das zarte Nesthäckchen, Maria ist das mittlere Kind, das ungeliebte Mädchen. Ihre Rolle ist von der Gesellschaft vorbestimmt. Der große Bruder erbt den Hof, Maria wird gezwungen einen Erbverzicht zu unterschreiben. Das Leben im Dorf bietet nur wenig Perspektiven. Wer etwas aus sich machen möchte, muss fort. So wie Franz, der kleine Bruder, der den Absprung schafft, und Maria in einem „Dorf ohne Franz“ zurücklässt.
Auch Maria sehnt sich nach einem anderen Leben, der abwesende Bruder Franz wird zur Symbolfigur für die unerreichbare Freiheit. Doch Maria bleibt. Einerseits fehlt es ihr an Durchsetzungskraft, aber vor allem fehlt es ihr an finanzieller Unabhängigkeit. Eine Ausbildung wird ihr verwehrt. Stattdessen wird sie von der Familie zur billigen Hilfskraft degradiert, die putzt und pflegt und gegen Billiglohn arbeiten geht.
Alles an diesem Leben scheint vorgezeichnet. Um versorgt zu sein, heiratet Maria, weil das ist nun einmal so ist. Leider gerät sie mit Toni an den falschen Mann, der ihr Leben nicht wie erhofft besser, sondern als notorisch untreuer Ehemann und Alkoholiker noch schlechter macht.
Dolovai erzeugt beim Erzählen einen großen Sog und man fragt sich, woher das eigentlich kommt. Denn nichts von dem, was Maria widerfährt, ist wirklich überraschend. In allem fügt sie sich in die vorgegebenen patriarchalen Strukturen. Ihr Leben ist eine vorhersehbare Aneinanderreihung von Enttäuschungen und Erniedrigungen. Zugleich lässt Dolovai die Tragik, die in Marias Leben passiert, völlig ohne besondere Dramatik geschehen. Wie beiläufig reihen sich Schicksalsschläge und Lebensereignisse aneinander. Wir erleben eine Protagonistin, die ihr eigenes Leben wie eine Zuschauerin erduldet, ohne jemals aufzubegehren. Dabei wirkt Marias Passivität zu keinem Moment unrealistisch. Im Gegenteil.
Dolovai benötigt für ihre Darstellung nur wenig Raum. Ein Dorf und eine Handvoll Protagonisten reichen völlig, um eine Zeit und ihre Gesellschaft authentisch in Szene zu setzen. Mit sparsamen aber enorm wirkungsvollen Pinselstrichen zeichnet sie ihre Figuren. Das ist wirklich große Literatur und zu Recht 2024 für den Österreichischen Buchpreis nominiert.
- Autorin: Verena Dolovai
- Titel: Dorf ohne Franz
- Verlag: Septime Verlag
- Erschienen: Februar 2024
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 168 Seiten
- ISBN: 978-3991200352

Wertung: 15/15 dpt