Erste Frauen bei der Kripo

Dezember 1970. Lucia Specht macht bei der Kripo Düsseldorf ihre Ausbildung und ist damit eine der ersten Frauen in diesem Beruf. Aktuell arbeitet sie in der Vermisstenstelle und hat es mit einem heiklen Fall zu tun, denn die erst vier Jahre alte Anneliese Wagner ist verschwunden. Auf der Kirmes hatte ihre Großmutter für einen Moment nicht aufgepasst. Die Zeit drängt, da nicht selten ein Sexualdelikt zu befürchten ist. Spuren finden sich zunächst keine, dann gibt es einen entscheidenden Hinweis, der nach Essen führt.
In Essen liegt nach einem schweren Grubenunglück auch Lucias Bruder Henning im Krankenhaus. Ob er zu Weihnachten raus darf ist mehr als fraglich, doch weitaus größere Sorgen machen Lucia die Tagebucheinträge ihres Bruders, der sich geradezu obsessiv mit Udo Lohse beschäftigt hat, den beide für den Tod ihrer Mutter verantwortlich machen. Lucia will Lohse aufspüren, doch dieser ist seit einigen Tagen verschwunden.
„Warum können wir den Wagners nicht sagen, dass wir die Puppe gefunden haben? Ich habe ihr versprochen, dass wir uns melden, sobald wir etwas Neues haben.“
„Diese Info ist furchtbar. Ein Kind, das in dem Alter seine Puppe verliert, hat dies nicht freiwillig getan.“
Kurz vor dem Durchbruch im Entführungsfall von Anneliese, wird Lucia überraschend für vier Wochen nach Köln abberufen, wo sie in der berüchtigten Unterwelt recherchieren soll. In Klein-Chicago kennen die Verbrecher die Polizei besser als die Polizisten die Unterwelt, da sie zu deren Miljö keinen Zugang haben. Eine junge Frau fällt dort weniger auf, allerdings gerät man schnell an brutale Zuhälter und andere Ganoven, die nicht mit sich spaßen lassen.
Dritter Teil der Kriminalistinnen-Reihe
1969 wurden in Düsseldorf erstmals Frauen bei der Kriminalpolizei ausgebildet. Zuvor durften sie jahrzehntelang nur bei der Weiblichen Kriminalpolizei arbeiten, wo sie keine Karrierechancen hatten und vor allem für minderjährige Straftäter zuständig waren. Dies änderte sich in den 1970er Jahren, in denen die Personalnot ein bundesweites Umdenken der Politik erforderte. Bis zum uniformierten Dienst bei der Schutzpolizei dauerte es dann allerdings bis in die 1980er Jahre.
Die Arbeit in einer männerdominierten Welt ist natürlich eines der Hauptthemen, welches Mathias Berg in seinem kurzweiligen Roman aufgreift. Daneben geht es um Einblicke in die bereits angesprochene Kölner Unterwelt, den Paragraphen 175 und die 1970er Jahre im Allgemeinen. Eine interessante Zeitreise, erzählt aus der Perspektive von Lucia, die nicht nur beruflich viel am Hals hat, sondern auch im Privatleben einiges zu regeln hat. Nicht nur das mysteriöse Verschwinden von Lohse und eine mögliche Verwicklung ihres Bruders beschäftigt sie, auch ihr Liebesleben erfordert dringend Klarheit. Da kommen aufdringliche Rotlichtgrößen genau richtig.
Die Polizeiarbeit und die Atmosphäre der damaligen Zeit werden gut dargestellt, wobei es zu zahlreichen Verbrechen kommt, die ihrer Auflösung harren. Dass die junge, in der Ausbildung stehende Lucia diese fast alle im Alleingang löst, mag etwas irritieren, aber so sind die starken Frauenfiguren halt. Warum auch nicht? Die Handlungsorte sind Düsseldorf, Essen und Köln, wobei vor allem Klein-Chicago, wie es damals genannt wurde, gut in Szene gesetzt wird. Zwar bleiben die Einblicke an der Oberfläche und Gewalttaten im Miljö finden so gut wie keine statt, was (nicht nur) für die Anfänge der 1970er Jahre ungewöhnlich sein dürfte, aber auch hier stimmt der Mix. Mehrere Themen werden angerissen, aber nicht überfrachtet. Dies mag manchen Lesern zu oberflächlich sein, für andere ist es hingegen gute, da leicht konsumierbare Krimikost. Wer noch dazu gerne Krimis liest, in denen das Privatleben der Hauptfigur eine größere Rolle einnimmt, kann zugreifen. Auf die beiden Vorgänger („Der Tod des Blumenmädchens“ und „Acht Schüsse im Schnee“) wird zwar gelegentlich Bezug genommen, sie sind aber keine Voraussetzung zum Verständnis der Handlung.
- Autor: Mathias Berg
- Titel: Die Kriminalistinnen. Der stumme Zeuge
- Verlag: emons:
- Umfang: 320 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Juni 2025
- ISBN: 978-3-7408-2339-9
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Wertung: 11/15 dpt







