Ewige Jugend (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


ewige-jugend-cover © Wild BunchNein, alte Menschen haben es wirklich nicht leicht, oder besser gesagt: Die Gesellschaft tut sich schwer mit ihnen. Mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters reduziert sich das Rollenangebot drastisch, aus einer Vielzahl aus Berufen und Professionen werden Rentnerinnen und Rentner, die sich am ehesten als Großeltern profilieren können. Doch auch diejenigen, die nicht in Rente gehen müssen, werden ab einem bestimmten Alter in ihren Möglichkeiten beschnitten. Das betrifft insbesondere Kunstschaffende und vor allem Schauspielerinnen und Schauspieler. Gut, dass es Paolo Sorrentino gibt, den italienischen Regisseur mit einer Vorliebe für relativ alte Personen.

Zwar wird im Film heutzutage immer häufiger von Menschen erzählt, die das Hollywoodstar-Durchschnittsalter hinter sich gelassen haben, dennoch gehören diese Filme noch lange nicht zum Mainstream-Kino. Dabei kann es durchaus erhellend sein, das Leben eines legendären Politikers („Il Divo – Der Göttliche“), eines alternden Rockstars („Cheyenne – This Must Be The Place“) oder eines in die Jahre gekommenen Partylöwen („La grande bellezza – Die große Schönheit“) zu beleuchten und hinter die gepflegte Fassade zu schauen. Sorrentino verpackt das obendrein auch noch so gut, dass er in guter Regelmäßigkeit mit Preisen bedacht wird und mit seinem letzten Film „La grande bellezza“ seinen vorläufigen Karrierehöhepunkt inklusive Oscar-Gewinn erreicht hat.

ewige-jugend-szene 1© Wild BunchEs ist also nicht übertrieben, wenn sein aktuelles Projekt „Ewige Jugend“ als große Produktion beschrieben wird, gestützt wird die These dazu noch von einem namhaften Hollywood-Cast und dem Gewinn des Europäischen Filmpreises. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sich Sorrentino für Michael Caine als Hauptrollenbesetzung entschieden hat, zweifellos eine Legende, deren Name aber nur noch selten ganz oben auf einem Filmposter steht. Nun darf der britische Sir endlich wieder einem großen Publikum zeigen, dass er immer noch weit mehr kann als das weiße Pendant zu Morgan Freeman zu geben. Allerdings hinkt dieser Vergleich etwas, immerhin ist Caine dank Christopher Nolan in einer Reihe der größten Filme aller Zeiten zu sehen, in denen er meist mit einer besonderen Nebenrolle bedacht wird. Trotzdem scheint ihm die Rolle des Fred Bellinger angesprochen zu haben, der im Zentrum des Geschehens in „Ewige Jugend“ steht.

Bellinger befindet sich im Urlaub in einem schweizerischen Wellness-Hotel, als er von Abgesandten der Queen aufgesucht wird. Die Königin wünscht, dass der Komponist und Dirigent im Ruhestand zu ihren Ehren seine legendären „Simple Songs“ aufführt, die er seit Jahrzehnten nicht mehr zum Besten gegeben hat. Doch Bellinger weigert sich, gibt für seine Absage „persönliche Gründe“ an und setzt seinen Urlaub fort. Nach und nach begegnet er alten Bekannten (u.a. Regisseur Mick Boyle (Harvey Keitel)) und neuen Gesichtern (z.B. Schauspieler Jimmy Tree (Paul Dano)) und wird von ihnen und umgeben von malerischen Berglandschaften in eine philosophische Suche nach Antworten auf die Fragen des Lebens gestoßen.

ewige-jugend-szene 2© Wild BunchIn der melancholischen Tragikomödie geht es natürlich auch um Bellinger und sein eigenes Leben, schließlich ist auch seine Tochter (Rachel Weisz) anwesend, die ihn über seine Vergangenheit und seine Fehler nachdenken lässt. Doch Sorrentino lässt den Blick viel weiter schweifen, oft sogar so weit, dass Bellinger gar nicht mehr im Mittelpunkt steht. Das Hotel ist ein Ort der Begegnung, ein melting pot der Kulturen, Christen neben Muslimen, Buddhisten und Gottlosen, jung neben alt, gesund neben krank und um das abzubilden, versucht der Regisseur möglichst viele Themen in zwei Stunden Film zu verpacken. Ein an sich schon ambitioniertes Anliegen, das aber leider auch dadurch scheitert, dass das Drehbuch viel zu oft nur an der Oberfläche kratzt. So wird aus dem Anspruch, alten Menschen eine Stimme zu geben, schnell ein fades Aufwärmen von Klischees: Der schlechte Vater, dem sein Beruf immer am wichtigsten war, alte Männer, die jungen Frauen nachschauen und sich von ihren Gebrechen berichten, alte Ehepaare, die nicht mehr miteinander reden.

Darunter leiden die Figuren und die Schauspieler, die sie spielen. Obwohl sie allesamt auf hohem Niveau performen, lassen einen selbst die hässlichsten Beichten und Ereignisse kalt, was einem hoch emotional angelegten Werk wie „Ewige Jugend“ nicht gerecht wird. Das gilt auch für die Erzählweise des Films, die sich in ihren Ideen genauso sprunghaft zeigt wie in der Bebilderung ebendieser. Die mondäne und überwältigende Schönheit Roms inszeniert Sorrentino in „La grande bellezza“ passend zu Jep Gambardellas Weltbild und Zustand, in „Ewige Jugend“ fehlt diese Einbettung ein ums andere Mal, der Kontrast zwischen jung und alt, modern und altertümlich hätte fließender, unauffälliger und weniger prätentiös gelingen können. Auch der Ton ändert sich einige Male, die Absurdität, die Sorrentinos gesamtes Schaffen begleitet, nimmt dieses Mal stellenweise Ulrich Seidl-Qualität an, mit dem Unterschied, dass der Italiener nicht das gewöhnliche Volk zeigt.

ewige-jugend-szene 5 © Wild BunchAber der Film schafft bei allem Ballast auch feine Akzente zu setzen, über die es sich lohnt nachzudenken. „Ewige Jugend“ ist ein Film der Gegensätze, doch oft genug fallen die Charaktere aus ihren Rollen und überraschen. Diese Brüche sind es, die das Geschehen auflockern und die Figuren aus ihrem selbst geschaffenen oder aufgezwungenen Trott bringen. Vielleicht sind die Themen zu Beginn deshalb so schematisch angeordnet, auch damit die Veränderung offensichtlich wird, nur bleibt vieles auch auf den zweiten Blick reizlos und langweilig. Außerdem fällt auch so auf, dass auch der junge Schauspieler Weisheit für sich beanspruchen darf, auch ein alter Mann kerngesund sein kann und auch Supermodels Grips haben können. Erst dann wird nämlich klar, dass das Streben nach Schönheit und das alles überstrahlende Verlangen nach Sex nur dann wichtig sind, wenn sie mit Bedeutung gefüllt werden. Erst wer zu dieser Einsicht gelangt, kann wirklich entscheiden, worauf es ihm im Leben ankommt und ob nicht Freundschaft und Leidenschaft für eine Sache viel wichtiger sein können als die ununterbrochene Triebbefriedigung (auch im weiteren Sinne gemeint, nicht umsonst ist von „Ruhmsucht“ die Rede) und die Möglichkeiten, die diese Oberflächlichkeit verbaut.

Nachdem man sich von den Erwartungen der Gesellschaft frei macht, von den unsichtbaren Kräften um uns herum, so könnte der Film zu lesen sein, erst dann können die wirklich wichtigen Fragen erörtert werden: Müssen Beruf und Freizeit getrennte Sphären bleiben? Sollte Leidenschaft nicht auch zum Job gehören? Ist der Wert des eigenen Schaffens an die Meinung anderer gekoppelt? Braucht es dafür eine Bühne? Muss man irgendwann „in Würde“ abtreten? Muss man in Rente gehen, wenn man nicht will? Ist man irgendwann fertig oder darf man noch mal etwas Neues anfangen? Darf man als Rentner noch eine schöne Zukunft ausmalen? Und verdammt noch mal, haben es die tibetanischen Mönche besser, ohne all den Scheiß? Erst wer selbst den Kontakt mit dem Fremden sucht, kann seine eigenen Grenzen ziehen und kann eine Identität fernab der vorgegebenen führen. Und vielleicht erkennt er dann auch noch, dass uns alle vielleicht mehr verbindet als uns trennt.

ewige-jugend-szene 4© Wild BunchEine reichlich spirituelle und aufgeblasene Lesart, aber wenn Sorrentino es schafft Menschen zum Nachdenken zu bringen, dann hat seine eklektische Herangehensweise ihre Berechtigung. Trotzdem bleibt „Ewige Jugend“ zu zerfahren, eine Ideensammlung mit Stil, aber nicht immer zielführend und den Film betreffend. Wie es besser geht, zeigt hingegen der Soundtrack: Auch hier treffen Welten aufeinander, aber wenn Pop von Paloma Faith (übrigens in einer Nebenrolle zu sehen) auf Klassik von Filmkomponist David Lang und Singer/Songwriter-Musik von Mark Kozelek alias Sun Kil Moon (bei seinem Cameo muss man höllisch aufpassen, dass man ihn nicht verpasst) trifft und keine signifikanten Brüche entstehen, ist das eine große Leistung. Wirklich fantastisch wird es, wenn der große Musikliebhaber Sorrentino Godspeed You! Black Emperor adelt, indem er ihre Musik in einer der Schlüsselszene gewinnbringend einzusetzen weiß. Auch hier findet sich eines der Leitmotive des Films wieder: Pop, Post Rock und Klassik, das sind auf den ersten Blick verschiedene Welten, doch sowohl Godspeed, als auch Bellinger (durch die Komposition von Lang) mit einem der „Simple Songs“ zeigen, was der Blick über den Tellerrand für Kräfte freisetzen kann. Wenn du nur alle Entscheidungen so geschmackssicher und konsequent getroffen worden wären.

FAZIT: „Ewige Jugend“ ist ein durch und durch ambitionierter Film, der zu viel will, aber auch nicht so richtig weiß, was er sein will. Regisseur Paolo Sorrentino möchte gerne von einem pensionierten Stardirigenten berichten, gleichzeitig aber möglichst viele Ideen über und Gedanken zum Leben unterbringen. Die Mischung will aber nur dann gelingen, wenn sich Brüche auftun und die Charaktere aus ihren Rollen fallen. Während der Soundtrack funktioniert und Gänsehautmomente schafft, sind die Bilder monströs, aber nicht stringent genug positioniert. Das Sprunghafte lässt den Zuschauenden ein Stück weit den Kontakt zu den Figuren verlieren, weswegen viele gute Performances untergehen und einen kalt lassen. Mit ein wenig mehr Konsequenz in der Entscheidungsfindung hin zu noch weniger Plot oder noch mehr stringenter Erzählung hätte Sorrentino mehr Eindruck hinterlassen können.

  • Titel: Ewige Jugend
  • Originaltitel: Youth
  • Produktionsland und -jahr: 2015
  • Genre:
    Tragikomödie
  • Erschienen: 01.04.2016
  • Label: Wild Bunch
  • Spielzeit:
    118 Minuten auf 1 DVD
    118 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    Michael Caine
    Harvey Keitel
    Rachel Weisz
    Paul Dano
    Jane Fonda
  • Regie: Paolo Sorrentino
  • Drehbuch: Paolo Sorrentino
  • Kamera: Luca Bigazzi
  • Schnitt: Cristiano Travaglioli
  • Musik: David Lang
  • Extras: Behind The Scenes, Interview mit Paolo Sorrentino, Trailer
  • Technische Details (DVD)
    Video: 
    16:9 – 2.35:1
    Sprachen/Ton
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video: 
    16:9 – 2.35:1
    Sprachen/Ton
    :
    D, GB
    Untertitel:
    D, GB
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 9/15 dpt

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