Funeral Parade Of Roses (Spielfilm, DVD)


Ein Film im Rausch der Befreiung. Toshio Matsumoto setzte mit „Funeral Parade Of Roses“ der auch in Japan engagierten Jugend im Geiste der 68er bereits 1969 ein knalliges, bildgewaltiges und überbordendes Denkmal ohne Rücksicht auf Verluste. Die Geschichte des Transvestiten Eddie ist ein bunter Genre-Cocktail und schließlich auch ein Meta-Film, der von einer unbändigen Liebe zum Kino zeugt, das zu dieser Zeit gleich in der Zusammenschau mitrevolutioniert und effektvoll als Sprachrohr eingesetzt wurde. An diesem verstörend-provokanten Avantgarde-Werk mag einiges zu viel (entliehen) und aus heutiger Sicht zu sehr an der Psychoanalyse Freud’scher Prägung orientiert sein, aber zweifellos hat „Funeral Parade Of Roses“ seine Spuren im Kino Japans und der Welt hinterlassen. Umso wichtiger ist es da, dass der Film über Rapid Eye Movies nun wieder ohne Weiteres auf dem deutschen Markt erhältlich ist, dazu noch in einer liebevoll gestalteten Verpackung.

Schon die Ausgangsprämisse dürfte im verklemmten Japan ein Skandal gewesen sein: „Funeral Parade Of Roses“ folgt dem Transvestiten Eddie (Peter) in den Untergrund, wo Geheimnisse das Leben ausmachen. In Ingmar Bergman-Manier wird zu Beginn ein intimes, sexuelles Verhältnis zweier Menschen inszeniert, ein homosexuelles Paar, wie die Zuschauenden zunächst annehmen könnten. Doch etwas ist anders an Eddie, die Brust flach, die Stimme zwar verstellt, aber trotzdem unverkennbar männlich. Damit ist es aber noch nicht genug der Verwirrung, denn Eddie und ihr Lover werden im Auto sitzend von einer an der Straßenecke stehenden Frau erwischt, die Eddie nur „Mama“ nennt. Auch sie ist ein „Er“, die „Mama“ des Clubs, in dem Eddie arbeitet.

In diesem dunklen Club feiern und vergnügen sich Anzugträger mit aufgetakelten „Gayboys“, die hier ihre einzige Chance auf Zuneigung und (finanzielle) Affirmation für ihren Lebensstil sehen. Interessant ist dabei der pure Hedonismus, den alle Beteiligten an den Tag legen und der gerade die Gayboys zu einem Menschenschlag macht, der sich vollkommen in die Gegenwart stürzt. Die Vergangenheit wird verdrängt, von der Zukunft wollen sie sich kein Konzept machen und so bleibt ihnen nur das Lustprinzip der Gegenwart, die Utopie in der Realitätsflucht durch käufliche Liebe. Das führt in tiefgreifende finanzielle und emotionale Abhängigkeiten, die die Transvestiten trotz ihrer biologischen Männlichkeit in gesellschaftliche Unterdrückungsmuster drängt, mit denen sich sonst nur Frauen konfrontiert sehen.

Das gilt insbesondere für jede Regung, die über ihren Status als Lustobjekte hinausgeht. Eddie ist eine Affäre mit dem Freund von „Mama“ eingegangen, weil er sich von ihm geliebt und sinnlich begehrt fühlt. Mama wiederum fühlt sich verloren, als er die Liaison aufdeckt und seinen Partner zur Rede stellt, der ihn daraufhin herzlos fallen lässt. Das ist höchst melodramatisch aufgeladen, doch genau wie Rainer Werner Fassbinder verdreht Regisseur Toshi Matsumoto die Rollenverhältnisse, um nach den praktischen Konsequenzen der sozialen Konstruktion von Rollen und der Wahrhaftigkeit von Gefühlen zu fragen. „Funeral Parade Of Roses“ ist ein Werk der multiplen Persönlichkeiten, die aus der Diskriminierung und Kriminalisierung bestimmter Randgruppen erwachsen.

Eddie selbst wird als Opfer seiner familiären Verhältnisse inszeniert: Der Vater hat trotz der großen Zuneigung seitens des Sohns die Familie verlassen, der Sohn, der in die Rolle des Vaters drängt, wird von der Mutter verlacht und von ihr durch eine Affäre mit einem anderen Mann verhöhnt. Wer glaubt, das antike Drama des Ödipus könne nicht überspitzt werden, wird hier in radikaler Manier eines Besseren belehrt. Ohnehin orientiert sich Matsumoto stark an den Freud’schen Lehren der Psychoanalyse, was heute im Wissen um die Unzulänglichkeiten der Theorien in gezogenen Schlüssen etwas zu einfach wirkt. Dennoch gewinnt der Film – auch durch die Wahl auf den attraktiven Transvestiten Peter gestützt – tiefere Einsichten in seine Charaktere, ein Empathievermögen, das einem Großteil der provokativen Filmkunst abgeht.

Matsumoto blickt hinter die Maske der Schönheit, dort wo die Einsamkeit an der Identität zehrt. Das beginnt mit der Reaktion der MitbürgerInnen, die wahlweise den weiblich gekleideten Männern ablehnend begegnen oder sie fälschlicherweise als Frauen identifizieren und anmachen. Sobald aber auch dieses Geheimnis gelüftet wird, bleibt der Kreis der Interessenten äußerst klein, die Distanz zwischen Ausdruck und echtem Verlangen wächst stetig. Die Inszenierung der eigenen Andersartigkeit in schreiend-schrillen Ausmaßen zielt auf die Artikulation dieser Hilflosigkeit, doch die satirische Überzeichnung der gesellschaftlich geprägten Rollenerwartungen tut ihr Übriges zur Abgrenzung voneinander.

„Mach nicht so ein Theater“, so werden die Transvestiten in diesem Film oft zur Ordnung aufgerufen und in der Bearbeitung dieses Theaters gelingt Matsumoto ein weiterer Clou. Viel mehr wird der Filmprozess reflektiert, also das Verhalten unter Einbezug einer Kamera. Wie in einer Versuchsanordnung spielt der Film mit Wahrheit und Fiktion und untersucht dabei das Verhältnis zwischen Gezeigtem und dem Rezipienten vor der Leinwand. Das passt zu „Funeral Parade Of Roses“, weil sich die Transvestiten ständig damit auseinandersetzen müssen, wie sie auf andere wirken, immer mitdenken, wie sie sich vor einer imaginierten Kamera inszenieren wollen beziehungsweise müssen.

Das Dilemma ebendiese soziale Situation jeder Minderheit, aber ebenjener im Besonderen, besteht in der Fixierung auf die Gegenwart, ohne dass tatsächlich in ihr gelebt wird. Liebe, Hoffnung, Verzweiflung, alles bleibt verdrängt oder unerreichbar, aber immer unverarbeitet. An die Stelle des Erwachsenwerdens tritt eine Verwandlung, die Flucht ins Fluide, ins Unentschiedene. Dieses Psychogramm wird auch als Bestätigung eines Krankheitsbildes inszeniert, aber eben auch als das Aufbegehren gegen verkrustete Strukturen, die einem die Luft zum eigenständigen Atmen nehmen.

Identitätskrisen sind das große Thema hinter dem drogeninduzierten Spektakel „Funeral Parade Of Roses“, was sich auch in formellen Aspekten wiederfindet. Als wilder Ritt durch die Filmgeschichte lassen sich neben Bergman und Fassbinder vor allem auch die Experimentierfreude der Novelle Vague wie bei Godard oder die Slapstick-Comedy à la Buster Keaton als Einfluss identifizieren. Seinerseits dürfte Matsumoto ihm nachfolgende Werke inspiriert haben, darunter bis in Details „Clockwork Orange“ von Stanley Kubrick und den verstörenden Horror von David Lynch.

Diese Befreiung von Genrezwängen geht mit der von gesellschaftlichen Zwängen und Tabus einher, Freiheit wird zelebriert. Als Teil der Avantgarde wird in „Funeral Parade Of Roses“ exzessiv mit Schnitt, Kamerafahrten und Musik experimentiert, so wie es auch die 68er in Japan mit ihrer Lebensweise taten. Immer wieder brechen Szenen aus Vergangenheit und Gegenwart herein, verdrängte (kollektive) Erinnerungen wie der Einfluss der westlichen Kultur über Mode und Musik. Der Generationenkonflikt setze an der Ablehnung der starren Verhältnisse der Eltern an, woraufhin nach alternativen Lebensformen experimentell Ausschau gehalten wurde. In dieser Phase der Verwirrung suchten Transvestiten wie Künstlerkollektive nach der Ausdrucksform für eine bessere Welt, entwarfen kollektivistische Gesellschaftsideen, innovative Protestevents, Musikstile wie Noise oder versanken im Nihilismus. Selten wurde das Lebensgefühl einer Szene, wenn nicht gar der Zeitgeist so erstaunlich eingefangen wie in „Funeral Parade Of Roses“.

Verwirrung gehörte dazu und das Scheitern, wie für Experimente üblich, sowieso, aber – und so sollte es auch heute artikuliert werden – das ist bei Weitem besser als der konservative Filz, dem sich nicht passiv zu beugen ist. Das mag auch in diesem Film anstrengend sein, zum Teil repetitiv, überfordernd, voll, es mag die falschen Leute anziehen, die nur ihre individuelle Chance wittern, ohne die Werte einer Gruppe zu teilen. Doch es setzt kreative Kräfte frei, die in diesem Film mit dem Hunger eines Filmstudenten herausragende Ideen in ikonische Bilder umsetzt, die auf ihre Weise an den vorherrschenden Verhältnissen rütteln. Sie öffnen Möglichkeitsräume, die auf Basis praktischer Erfahrungen den Wert von Produkten offeriert, die aus einem progressiv informierten Prozess entstehen. Diese Labore sind in der Kunst nicht ohne Mühe, aber durchaus einfacher zu öffnen als in der Realität, vor allem deshalb, weil Geld für Experimente nur dann vorhanden ist, wenn das Risiko sehr viel mehr Geld verspricht.

Dasselbe gilt für den Filmmarkt und deswegen müssen Labels wie Rapid Eye Movies für ihren Willen gelobt werden, ungeachtet der Regeln des großen Profits in künstlerischer Hinsicht wertvolle Filme zu vermarkten. Dafür muss zuerst tiefer in die Tasche gegriffen werden, dafür ist die vorliegende Version mit viel Liebe zum Detail und mit Postkarten mit ikonischen Filmszenen ausgestattet worden. Einzig muss die Frage erlaubt sein, warum die 4K-Restauration anlässlich des Todes Matsumotos 2017 nicht zur Veröffentlichung einer Blu-ray-Version geführt hat. Wer sich überdies damit abfinden kann, dass kein tiefergehendes Bonus Material vorhanden ist, sollte sich unbedingt mit diesem Stück Filmgeschichte eindecken.

Fazit: Ein provokantes, bildgewaltiges Spektakel fängt eine besondere Zeit der Befreiung ein. „Funeral Parade Of Roses“ setzt sich mit den 68ern auseinander, die sich in ganz unterschiedlichen Ausprägungen von Minderheiten ausdrückten. Toshio Matsumoto machte sich seinerzeit frei von Genre- und gesellschaftlichen Rollenerwartungen und konnte nur so ein Werk produzieren, das sich seiner Einflüsse zwar bewusst ist, aber mit den Konventionen brach wie mit Tabus, so wie eben die 68er auch. Dieser bunte, überladene Batzen ist nichts für schwache Gemüter, aber weitaus mehr als eine Etappe auf der Filmgeschichtszeitstrahl. Glücklicherweise gibt es den Film aus 1969 nun auch wieder auf dem deutschen Markt.

Szenebilder und Cover © Rapid Eye Movies

  • Titel: Funeral Parade Of Roses
  • Originaltitel: Bara no sôretsu
  • Produktionsland und -jahr: JAP, 1969
  • Genre:
    Drama
    Japanese New Wave
    Avantgarde
  • Erschienen: 12.04.2019
  • Label: Rapid Eye Movies
  • Spielzeit:
    ca. 101 Minuten auf 1 DVD
  • Darsteller:
    u.a.
    Pîtâ
    Osamu Ogasawara
    Toyosaburo Uchiyama
  • Regie: Toshio Matsumoto
  • Drehbuch: Toshio Matsumoto
  • Kamera: Tatsuo Suzuki
  • Schnitt: Toshie Iwasa
  • Musik: Jôji Yuasa
  • Extras:
    Trailer
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1,37:1
    Sprachen/Ton
    :
    JAP
    Untertitel:
    D
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

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