American Gods – Staffel 2
2017 stellte sich „American Gods“ als eine willkommene Fantasy-Alternative zum größtenteils ausgelutschten Marvel-Universum vor. Die Neil Gaiman-Serien-Adaption funktionierte als Augenschmaus wie als Entertainment-Programm mit einigermaßen Tiefgang, als amüsante Abhandlung über Amerika mit seinen neuen und alten Göttern, über Glaube und seine Konstruktion. Der Start von Staffel zwei verzögerte sich nach dem Abgang der Showrunner Bryan Fuller und Michael Green bis März 2019, was den neuen Folgen leider deutlich anzumerken ist. Zwar kann die Serie weiterhin visuelle Ausrufezeichen setzen und seinen großartigen Cast passend umgestalten und Szene setzen. Die Story aber dümpelt repetitiv philosophierend und bemüht tagesaktuell vor sich hin, worüber die neuen Verantwortlichen vergessen, die Zuschauenden am Fortgang der Geschichte oder dem Schicksal der Charaktere zu interessieren.
Das Thema von Göttern in Amerika ist von höchster Aktualität, wenn auch zunehmend in einem bedenklichen Sinne. Die konservative Politik unter dem Label „Donald Trump“ spaltet das Land, wie es selbst die Gottheiten in „American Gods“ nur schwerlich zustande bekommen. Mr. Wednesday, der sich zum Abschluss von Staffel eins mit einem Knalleffekt als Odin zu erkennen gab, wird seinem Naturell gerecht und drängt auf den Krieg der alten Götter gegen die neuen. Doch seine alten Weggefährten sind müde vom ewigen Kämpfen und geben sich zweifelnd gegenüber den Plänen des Göttervaters, obwohl sie immer mehr in Vergessenheit geraten und dadurch mit dem Tod konfrontiert werden. Es ist dann Shadow Moon, der seine zugedachte Rolle wahrnimmt und sie wachrüttelt: „Ich glaube an Odin und seinen Plan“ und schon kippt die Stimmung.
Dabei bleibt die Beziehung der beiden dubios. Warum interessiert sich der große Gott für den Menschen Shadow Moon? Welche Rolle spielt er im Kampf der Götter? Mr. Wednesday ist offensichtlich ein Meister der Manipulation, denn man kann sich nie sicher sein, ob er gerade manipuliert oder nicht. Seine Intentionen bleiben lange im Dunkeln, doch nicht alle Leerstellen der Geschichte lassen sich mit dieser Vagheit zufriedenstellend rechtfertigen. Wichtige Charaktere werden (vorübergehend) fallengelassen, Sideplots brechen nicht mehr so kunstfertig ein wie in Staffel eins und die Reaktion auf das Amerika dieser Tage schreibt manch eine gute Idee, die Neil Gaiman Anfang des Jahrtausends entwickelte, plakativ, platt und rührselig um.
Es ist deutlich zu merken, dass es einen Bruch hinter den Kulissen gegeben hat. Über Budgetfragen gingen Bryan Fuller und Michael Green (angeblich im Guten; Fuller ist wieder mit „Star Trek“ beschäftigt, Green hat den erhofften Sprung mit dem herausragenden „Blade Runner 2049“ geschafft) mit der Produktionsfirma Fremantle auseinander und das mitten im Schreibprozess Ende 2017. Jesse Alexander, langjähriger Weggefährte der beiden, und Gaiman selbst übernahmen die vakanten Positionen, bis auch Alexander wenige Monate später wieder aus der Verantwortung entlassen wurde. Zum Drehstart im April 2018 leiteten die Produzent*innen Chris Byrne und Lisa Kussner die Produktion, aber wirklich Ruhe scheint damit nicht eingekehrt zu sein. Staffel drei ist bereits bestellt und soll vom Veteranen Charles H. Eglee (unter anderem „Byrds Of Paradise“, „Murder One“, „The Shield“) als Showrunner in ruhigeres Fahrwasser gebracht werden.
Die neuen Folgen wirken dementsprechend unfertig und wie bemühte Teile einer Übergangsstaffel. Der Road-Trip durch die Staaten geht munter weiter, ohne dass sich das Gefühl einstellt, hier wäre der Weg das Ziel. Die Figuren irren umher und reisen ständig zu neuen, unbekannten Schauplätzen, so wie vor allem Laura Moon und Mad Sweeney, die aneinandergebunden sind, da Sweeneys Münze Laura notdürftig vor dem Tod bewahrt. Immer wieder tauschen sie bei diversen Unterbrechungen und Pannen auf dem Highway dieselben Argumente über Glaube und Nichtglaube, Schicksal und Vorherbestimmung sowie die Kraft von Narrativen und Storytelling aus und überdies funktioniert noch nicht einmal der Slapstick-Humor, der den beiden im Drehbuch zugeschrieben worden ist.
Ohnehin sind die Charaktere in den neuen Folgen äußerst redselig, nur fallen die Mono- und Dialoge bei Weitem nicht so ausgefeilt aus wie noch in Auftaktstaffel zuvor. Nun könnte dies Gaimans Vorlage angelastet werden, doch hängt der Eindruck größtenteils an der Adaption, denn über die visuelle Umsetzung, das Erzähltempo, die beleuchteten Erzählstränge und die Aktualisierung des Stoffs entscheiden schließlich die kreativen TV-Macher*innen. Angesichts der Wirren der USA unter Trump ist verständlich, dass manch ein Kommentar auf den Zeitgeist notwendig scheint, doch der Rahmen will nicht recht dazu passen.
Die Charaktere tauschen eher intellektuelle Konzepte und Ideen aus, als dass sie gewitzte Dialoge führen. Es wird mehr erklärt als festgestellt und das nimmt der Serie an Fahrt und an Charme. Waren die Götter und Charaktere doch zuvor verspielte Folien, vor denen Amerika und seine Bevölkerung anhand der mitgebrachten Glaubensrichtungen mit einem Augenzwinkern analysiert wurden, wirkt nun Vieles immer noch lehrreich, aber eben auch abstrakt und bitterernst. „Black Lives Matter“ und LGBTQ+ werden wahlweise verkrampft oder äußerst überschaubar eingearbeitet, was zwar in späteren Staffeln wieder aufgenommen werden könnte, doch eine zeitweise Unzufriedenheit bleibt bestehen. Einzig die Beleuchtung von New Media, die Weiterentwicklung von Gillian Andersons Figur Media zum bunten Charakter von Kahyun Kim bringt eine anregende Verbindung zwischen alten Konzepten und Allmachtsfantasien mit verheerenden Folgen.
In eine ähnliche Richtung geht die Enthüllung eines Puzzlestücks im Rätsel um Odins Motivation, die in der besten Folge der Staffel mündet, vor allem weil der großartige Ian McShane, mittlerweile auch schon Mitte siebzig, neben seinen eigentlich immer sehenswerten Leistungen große Glanzmomente spendiert bekommt. Ohnehin liefern alle tragenden Schauspieler*innen ab, egal ob beispielsweise die etablierten Pablo Schreiber als Mad Sweeney oder Emily Browning als Laura Moon oder Orlando Jones als Mr. Nancy, Yetide Badaki als Bilquis und Demore Barnes als Mr. Ibis, die in Staffel zwei deutlich mehr Raum bekommen. Andererseits ist der Cast durch diverse Gastauftritte aber wiederum mittlerweile dermaßen aufgebläht, dass in den acht Folgen nicht alle den Platz bekommen, der ihnen zustehen sollte und daher eindimensional bleiben müssen.
Visuell steckt die Serie auf den ersten Blick ebenfalls zurück, auch wenn hierbei das bedächtige Erzähltempo den Eindruck verzerrt. Mit einem Budget von 10 Millionen Dollar pro Folge lässt man weiter nichts anbrennen, die Sets sind genauso aufwändig wie die Effekte. Extra für die Dreharbeiten schloss das bekannte House On The Rock in Wisconsin, um für die erste Folge als Treffpunkt der alten Götter dienen zu können. „American Gods“ ist weiterhin schrill, bunt, fantasievoll, um keine innovative Idee verlegen, scheitert mitunter und ist insgesamt dem Overkill nah, aber bietet eben auch Außergewöhnliches (erneut: unbedingt die Blu-ray kaufen!). Der bunte Jahrmarkt wäre jedoch leichter zu genießen, wenn sich der Anspruch an den Look im Inhalt spiegeln würde.
Selten gelingt es, Bedenkenswertes zu Protokoll zu geben, was nicht schon in Staffel eins verhandelt wurde. Sind es Götter, die an uns glauben müssen oder müssen sie etwas tun, um es wert zu sein, an sie zu glauben? Müssen sie sich anpassen, erneuern und Kompromisse eingehen? Oder im Krieg zu alten oder neuen Mitteln greifen, um zu obsiegen? Wer ist gut und wer ist böse? Wer erklärt wem den Krieg? Bedeutet Krieg nicht auch Profit? Welche Rollen spielen Verrat, Loyalität, Opportunität und Vergötterung? Und wie ist es um das Verhältnis von Technologien, Göttern und Menschen bestellt? Gewinnt am Ende die Furcht oder die Liebe? Korrumpieren die Götter die Menschen?
Die letzten beiden Fragen sind sicherlich die wichtigsten, nur leider gehen sie in der Staffel etwas unter. Weder Salim in seiner Liebe zum Djinn, noch Laura und Shadow in ihrer Ehekrise ist es vergönnt, die Menschlichkeit schon jetzt mehr Raum zu geben und als Gegenentwurf zum göttlichen Machtstreben zu stellen. Stattdessen stellt sie das lange blinde Folgen der göttlichen Wesen in fragwürdiges Licht, genauso wie es die immer neuen Twists tun, die die Story bestimmen. Das könnte zur Ehrenrettung der Macher*innen als Kritik am zurzeit gefürchteten Menschenbild verstanden werden: Das blinde Folgen, egal ob der Weg nirgendwo hinführt, wodurch die menschlichen Wesen wenig Sympathie zuteil wird. Auch die Provokationen in Sachen Gewalt, Sex und Ekel weisen in diese Richtung, doch sind sie wenig selbstbewusst vorgetragen und bleiben zahm. Stattdessen ruhen die Hoffnungen auf Staffel drei, der mehr Konsistenz auf allen Ebenen zu wünschen ist.
Fazit: „American Gods“ stockt in der zweiten Staffel heftig, weil der Umbau hinter den Kulissen merklich Spuren hinterlassen hat. Die Serie sieht weiterhin fantastisch aus und übertreibt es bisweilen bis zum Exzess, doch ohne den passenden Ausgleich auf der Inhaltsebene wie in Staffel eins ist sie nicht mehr so deutlich gegen die Kritik gefeit, man stelle den Style über die Substanz. Die neuen Folgen sind durchaus bemüht, aber eben verkrampft, langatmig und verquast, weil die verhandelten Ideen und Konzepte nicht mehr in lockere Dialoge eingearbeitet werden. Die (zu vielen) Götter, ihr Zynismus und Kriegstreiben überstrahlen die Menschlichkeit, was durchaus als Kritik an der Gesellschaft zu verstehen ist, schließlich sind die Götter nur von Menschen gemacht Geschichten, doch ein wenig mehr Sympathie für das Menschliche hätte „American Gods“ in der neuen Staffel gut getan.
P.S.: Die Collector’s Edition ist mal wieder umfangreich ausgestattet, spielt mit dem Comic-Appeal des „American Gods“-Stoffes und lässt keine Wünsche offen.
Szenebilder und Cover © Studiocanal/Fremantle
- Titel: American Gods – Staffel 2
- Produktionsland und -jahr: USA 2019
- Genre:
Mystery
Sci-Fi
Fantasy - Erschienen: 11.07.2019
- Label: Studiocanal
- Spielzeit:
ca. 455 Minuten auf 1 DVD
ca. 474 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
u.a.
Rick Whittle
Ian McShane
Emily Browning
Pablo Schreiber
Peter Stormare
Crispin Glover - Regie:
Jesse Alexander (Showrunner)
u.a.
Chris Byrne - Drehbuch:
Neil Gaiman (Buch)
u.a.
Jesse Alexander
Rodney Barnes
Heather Bellson
Peter Calloway - Kamera:
David Greene
Marc Laliberté
Tico Poulakakis - Extras:
Booklet, Postkarten, Featurette “Neil Gaimans Amerika”, 50-minütiges San Diego Comic Con Special - Technische Details (DVD)
Video: 1,78:1
Sprachen/Ton: D, GB, FRA
Untertitel: D, GB, FRA
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,78:1 (1080/24p Full HD)
Sprachen/Ton: D, GB, FRA
Untertitel: D, GB, FRA - FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 6/15 dpt