Actionreicher Krimi vor zeithistorischem Hintergrund
Der Bremer Autokonzern Borgward steht als Beispiel für das Wirtschaftswunder und dennoch vor dem Abgrund. Carl Borgward wurde bereits als Firmenchef abgesetzt, das Unternehmen dem Land Bremen überschrieben. Interimsdirektor und Insolvenzverwalter Dr. Semler soll retten, was nicht mehr zu retten ist, allerdings arbeitet er auch für Konkurrent BMW. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Thomas Neumann, Finanzchef der Firma, will ein Rettungskonzept gefunden haben. Es kommt zum lautstarken Streit mit Semler, kurz darauf wird Neumann – natürlich – in einem Borgward des Luxustyps P100 ermordet aufgefunden. Aus nächster Nähe erschossen, wurden ihm zudem beide Augen entfernt und durch zwei Kunstnelken, die man auf der Kirmes schießen kann, ersetzt.
Thomas Nettelbeck ist Kommissaranwärter und da sein Chef erkrankt ist, wird er Hauptkommissar Ernst Schröder zugeteilt. Eine Legende, wenngleich nicht unumstritten. Kaum im Dienst und schon der erste Mord, noch dazu vor brisantem wirtschaftlichem Hintergrund, denn dass der Automobilkonzern wankt, liegt nicht nur am hausgemachten Missmanagement, sondern auch an Bürgermeister Wilhelm Kaisen, der einen dringend erforderlichen Kredit nicht bewilligt, wodurch zwanzigtausend Arbeitsplätze gefährdet sind. Die Stimmung ist explosiv, die Ermittler sind gefordert.
„Bestimmt. Wer will das nicht? Außer dem Bremer Senat und dem Bürgermeister will das jeder.
Schröder stürzt sich im blinden Eifer auf den erstbesten Verdächtigen und lässt Semler überwachen. Derweil stellt sich heraus, dass Neumann trotz schwangerer Ehefrau homosexuell war und sein Freund, der Journalist Hans Kauder, plötzlich verschwunden ist. Die Beschattung Semlers führt zu einer weiteren Spur, denn dieser hat einen Privatdetektiv namens Kowalski engagiert. Als Nettelbeck diesen zur Rede stellen will, flüchtet Kowalski auf ein Hoteldach und springt kurz darauf in den Tod. Aber sprang er wirklich selber? Nettelbeck misstraut zunehmend seinem Chef, denn dieser spielt nicht mit offenen Karten.
Beim Finale mitunter eine Umdrehung zu viel
Ronald Fricke hat mit „Der Tote im Borgward“ einen kurzweiligen und actionreichen Krimi geschrieben, der vor dem zeithistorischen Hintergrund der Borgward-Krise spielt. Steht diese zu Beginn noch im Fokus, bestimmt im weiteren Verlauf die homosexuelle Neigung des Ermordeten mehr und mehr die Handlung. Selbst Nettelbeck wird diesbezüglich auf die Probe gestellt und hat bald mehr als nur ein Problem zu lösen. Ich-Erzähler Nettelbeck kommt zu Beginn des Romans nicht zwingend sympathisch rüber und im späteren Verlauf macht sich bei ihm – den hier nicht näher zu nennenden Umständen geschuldet – ein befremdliches Rechtsverständnis bemerkbar. Es bleibt daher in der Schwebe, ob man ihn in einem weiteren Fall wiedersehen möchte. Andere Figuren, allen voran Schröder, sind ebenfalls unsympathisch, wodurch der Plot eine düstere Note erhält, die der damaligen Zeit Rechnung trägt. Es geht zwar aufwärts, aber die Vergangenheit ruht nicht.
Die temporeiche Handlung bietet am Ende ein wenig zu viel Turbulenzen. Wer hier den Überblick behalten möchte, muss sehr aufmerksam sein. Neben der angesprochenen Borgward-Krise sowie der sexuellen Komponente, der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches ist hier im Jahr 1961 in Kraft und wird dies auch noch lange bleiben, gibt es einen weiteren Aspekt, der nicht unerwähnt bleiben soll. Während des Dritten Reiches gab es 1944 ein sogenanntes Graues Haus in Bremen, in dem ein „Mann ohne Gesicht“, sein Unwesen trieb. Im Keller jenes Hauses trug er eine Maske, der er seinen Spitznamen verdankt und folterte dort für die Gestapo Gefangene.
Letztlich ist es wie so oft Geschmacksache. Ja, man hätte gern etwas mehr über die Marke Borgward und deren Krise erfahren, ebenso über die politischen Handlungen und deren Entscheidungsträger. Es sollte aber kein Wirtschaftskrimi werden und somit geht der Mix in Ordnung.
- Autor: Ronald Fricke
- Titel: Der Tote im Borgward
- Verlag: Gmeiner
- Umfang: 336 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: August 2024
- ISBN: 978-3-8392-0683-6
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Wertung: 11/15 dpt