Max Annas – Tanz im Dunkel (Buch)

Der Krieg ist zu Ende, die Täter mitten unter uns

Spätherbst 1959. Adi und Karl waren auf einer Demo gegen die Wiederbewaffnung und werden auf dem Heimweg von einem BMW Barockengel verfolgt. In einer schmalen Straße gibt der Fahrer Gas und fährt Karl an, der sofort stirbt. Am selben Abend sieht Adi aus seinem Zimmer durch das Oberlicht der Autowerkstatt Kucharski, wie dort ein Barockengel repariert wird. Er verständigt Gisela und Hagen, seine besten Freunde, die noch nicht genau wissen, wie sie Karls Tod rächen wollen. Erst mal gilt es dem Wagen zu folgen, um herauszufinden, wem dieser gehört. Das auffällige Nobelfahrzeug gehört Alfred Salz, dessen Sohn mit Kucharskis Sohn befreundet ist. Auf einem nächtlichen Streifzug werden sie von Adi und Gisela beobachtet, wie sie an einer Mauer ein Hakenkreuz malen, was allerdings Oberwachtmeister Klemper kaum interessiert.

So war das in Westdeutschland im Jahr 1959. Niemand hatte eine Ahnung. Und natürlich nie eine gehabt.

Während sich Gisela, Adi und Hagen, die eigentlich nur zusammen sein und Rock’n’Roll hören wollen, zunehmend Salz beobachten, erregen sie die Aufmerksamkeit von Reinhard Clausen, der in Köln alte Rechnungen begleichen will. Zum Beispiel jene mit Salz, der im November 1938 die Scheibe des elterlichen Geschäfts einwarf. Derweil wundert sich Hauptkommissar Siegfried Hartmann kurz vor seiner Pensionierung mit zunehmender Besorgnis über den Anstieg seltsamer Mordfälle in der Domstadt.

Spektakuläres Finale

Max Annas, fünffacher Gewinner des Deutschen Krimipreises, entführt uns in das Jahr 1959, in dem die Spuren des Krieges noch allgegenwärtig sind. So auch in dem dachlosen Haus von Adis Onkel, in dem der neunzehnjährige ein Zimmer hat. Hier verbringt der junge Arbeiter seine Freizeit mit der siebzehnjährigen Schülerin Gisela und seinem achtzehnjährigen Cousin Hagen, der ebenfalls noch zur Schule geht. Die Freunde sind unzertrennlich, nicht nur in der Liebe zur Musik vereint. Doch so langsam ziehen dunkle Wolken auf, denn nur einer der beiden wird letztlich Gisela für sich gewinnen können, wodurch der Plot teils als Coming-of-Age eingeordnet werden kann. Und dann wäre da noch der Unfall, besser gesagt Mord, an Karl, Sohn eines bekannten Kommunisten. War Salz gefahren oder sein Sohn und warum hatte er es auf Karl abgesehen?

Dem Leser wird bald klar, worum es – unter anderem – geht, nämlich um ein bekanntes Thema, welches beispielsweise Andreas Pflüger (Deutscher Krimipreis 2023 für „Wie sterben geht“) in seinem Roman „Ritchie Girl“ behandelt hat. Alte Nazis und deren willige Mitläufer, die nach Kriegsende problemlos weitermachen konnten. Wie ist das möglich? Verständlich, dass sich Jugendliche wie Adi, Gisela und Hagen daran stören und dann noch die erneute Aufrüstung des Landes. Warum kann man nicht einfach gute Musik hören, sich von den Fehlern der Vergangenheit befreien und das Leben genießen?

Jede Woche ein Angriff, ein Hakenkreuz, eine Beleidigung. Und das alles nur hier in der Stadt und in der Nähe. Wer es wissen wollte …

Nach und nach erfährt man, was Reinhard Clausen, dessen Name ein anderer ist, in Köln treibt. Hier schließt sich zum Finale der Kreis, denn dann treffen sie alle aufeinander. Adi, Gisela und Hagen, Salz und seine braunen Kameraden, Clausen und Hartmann sowie Adis Onkel mit Freunden. Es kommt zu einem grandiosen Shoot-Down, in der sich lang auf gestauchte Gewalt eruptiv entlädt. Die Zahl der Toten kann, so nebenbei, niemand genau beziffern.

Annas erzählt seine Geschichte in ruhigem, präzisen Erzählstil und fängt die damalige Zeit mit ihren widersprüchlichen Stimmungslagen gut ein. Als Autor bleibt er eher distanziert, doch dass sich Unheilvolles ereignet, steht außer Frage. Die Sogkraft des Plots steigert sich stetig, während nach und nach die Hintergründe respektive Motivationen der einzelnen Figuren klarer werden.

Nachkriegszeit, bedrückende politische Stimmung, Jugendliche an der Grenze zur Welt der Erwachsenen, pulsierende Musik und ein geheimnisvoller Mann auf Rachefeldzug. Gekrönt durch ein opulentes Finale. Hut ab!     

  • Autor: Max Annas
  • Titel: Tanz im Dunkel
  • Verlag: Suhrkamp
  • Umfang: 240 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Januar 2025
  • ISBN: 978-3-518-47461-7
  • Produktseite

Wertung: 10/15 dpt

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