Sara Gmuer – Achtzehnter Stock

Berlin. Plattenbau. Wanda lebt mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie im achtzehnten Stock in der Wohnung, die eigentlich ihr Onkel gemietet hat. Auf Wandas Etage lebt auch die Mutter von Karlies Freundin Aylin. Dann gibt es noch Ming, die mit den kleinen Zwillingen, deren deutscher Freund sie nicht heiraten will, aber dennoch von ihr durchgefüttert wird. Und Esther, deren bissige Kommentare Wanda auf die Palme bringen. Wenn sich die vier untereinander helfen oder im Hof gemeinsam auf die Kinder aufpassen, ist das für Wanda eher eine Zweckgemeinschaft. Eigentlich ist sie Schauspielerin, wenn auch ohne Aufträge, und hält sich für etwas Besseres als die übrigen Platten-Bewohnerinnen.

Ich wollte nie so werden wie die anderen hier. Ich wollte nie eine von ihnen sein, mit platt gedrückten Haaren vom vielen Fernsehen.

Sara Gmuer hat eine Protagonistin geschaffen, die man nicht so einfach mögen kann und für die man dennoch auch Mitgefühl entwickelt. Zu stolz für Hartz IV, obwohl sie schon die Miete nicht mehr aufbringen kann und einfach darauf setzt, dass ihr Onkel diese schon nicht pünktlich einfordert (was er natürlich dennoch tut und damit die Daumenschrauben für Wanda immer weiter anzieht). Mit viel Mutterliebe für Karlie ausgestattet, die sie aber auch schnell über Bord wirft, wenn sie zu einem Casting muss oder ihre Affäre, den berühmten Schauspieler Adam Ezra, treffen will. Das Hochhaus scheint immer mehr wie ein Gefängnis für sie zu sein, dem sie entkommen will. Ihre Ausflüge in die Welt der Reichen, der Schauspieler und Produzenten machen sie aber letztendlich auch nicht glücklich oder geben ihr ein Zugehörigkeitsgefühl.

In anderen Worten: Wanda ist überfordert, mit ihren Träumen, mit ihrem Kind, mit ihren Geldnöten – und dem, was ihr das Schicksal in den Weg schmeißt. Karlie wird schwerkrank, die Notaufnahme nimmt die junge Mutter mit ihrer Tochter erst nicht Ernst, bis sich die Erkrankung als lebensbedrohend herausstellt. Dass Wanda das selbst erst nicht so richtig erkannt hat und sie stattdessen unterwegs war, um sich bei einem schicken Abendessen die Einladung zu einem Casting zu ergattern, macht ihr Gewissen nicht leichter. Ständig wirkt Wanda fahrig und in ihren Entscheidungen sprunghaft. Als sie dann – mehr durch Glück als durch Leistung – eine kleine Rolle als Sektenmitglied in eine Serie erhält, taucht sie vollkommen darin ab. Sie steigert sich fast selbst in einen religiösen Wahn, um ihre Rolle perfekt zu spielen. Und das alles, um dem Hochhaus und dem Leben am Rand der Gesellschaft zu entkommen. Als auch das nicht klappt, fällt Wanda in eine lähmende Depression, bei der Karlie schließlich hungrig vor dem leeren Kühlschrank steht.

Die Wolken sind zäh wie graues, trockenes Fleisch. Man sieht seit Tagen keinen Himmel. Sie drehen ohne mich weiter.

Sara Gmuers Schreibstil kann beides zugleich sein: poetisch-bildhaft und schonungslos ehrlich mit großer Wucht. Vielleicht steckt auch einiges von Wanda in ihr selbst: Auf ihrer Webseite schildert sie kurz ihren Werdegang von der Kindheit auf dem Dorf, dem Umzug in die Stadt, ihre Zeit als Model, Rapperin und Schauspielerin zur Autorin. Stark sind in „Achtzehnter Stock“ die Teile, in denen Wanda mit Karlie in der Notaufnahme und im Krankenhaus ist oder auch viele Szenen, in denen sie mit den Nachbarinnen interagiert. Schwächer fallen die Szenen mit den Dreharbeiten aus, in denen Wanda sich in ihre Rolle hineinsteigert. Hier gleitet einiges fast schon zu ausufernd ins slapstickhafte ab. Auch Wandas Verliebtheit in Schauspieler Adam und die übrigen Begegnungen mit der Filmbranche sind nicht so recht überzeugend.

Fazit:

„Achtzehnter Stock“ von Sara Gmuer beschreibt authentisch den Alltag als alleinerziehende Mutter, dem Zerrissensein zwischen den eigenen Träumen und der Verantwortung für das Kind. Wer aus einer armen Familie kommt und im Plattenbau lebt, hat es mehr als schwierig, sich aus Armut nach oben zu arbeiten. Da hilft auch oft kein Strampeln aus vollen Kräften – wundersame Aufstiege in den Reichtum geschehen meistens nicht im wahren Leben. Auch wenn Wanda als Protagonistin nicht die sympathischste ist, schildert Sara Gmuer sie zurecht mit Wärme und Verständnis.

Wertung: 12/15 dpt

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