Uketsu – Seltsame Bilder (Buch)

Seltsam zusammenhanglos erscheinen die Kapitel in Uketsus „Hen na e – Seltsame Bilder“, in denen Zeichnungen von verschiedenen Personen analysiert werden. Eine Psychologin erläutert im Hörsaal, wie sie die Zeichnung eines Mädchens interpretiert, das als Elfjährige seine eigene Mutter ermordete. Zwei Uni-Freunde, die Mitglied im Okkult-Club sind, haben im Internet einen rätselhaften Blog entdeckt, in dem der Schreiber Zeichnungen veröffentlicht und den Blog nach einem traurigen Todesfall mit den Worten „Ab heute werde ich diesen Blog nicht mehr aktualisieren. Denn ich habe das Geheimnis der drei Bilder entschlüsselt.“ schließt. Ein Kunstlehrer wird getötet und hinterlässt eine Zeichnung als letzte Nachricht. Ein junger Journalist, der Jahre später den Mord an seinem Kunstlehrer aufklären will, stirbt auf dieselbe Art und am selben Ort – und hinterlässt ebenfalls eine Zeichnung.

Zum Glück ist das erste Kapitel bereits eine gute Übung darin, wie komplex die „seltsamen Bilder“ sind. Die Studenten Sasaki und Kurihara steigen tief in die Entschlüsselung des rätselhaften Blogs ein und lösen Schritt für Schritt – inklusiver der falschen Lösungsansätze – zumindest die vermutliche Nachricht, die in den im Blog veröffentlichten Bildern versteckt ist. Zeichnungen und kleine Diagramme sind in Deutsch sowie mit japanischen Schriftzeichen dargestellt, eine schöne Idee, um die japanische Atmosphäre durchgängig mitschwingen zu lassen. Dabei sind die Zeichnungen keine einfachen Bilderrätsel, in denen man einen Hinweis finden muss. Stattdessen müssen sie im Rahmen einer komplexen Geschichte gedeutet werden, die den beiden Studenten nicht bekannt ist. Sie können nur vage vermuten, wissen aber nicht, was tatsächlich passiert ist.

Welches Leid du ertragen musstest, kann ich nicht ermessen. Wie schwer die Schuld wiegt, die du auf dich geladen hast, ist mir nicht klar. Ich kann dir nicht vergeben. Doch ich werde dich immer lieben.

Im nächsten Kapitel geht es um Naomi und den kleinen Yuta, der im Kindergarten eine etwas unheimliche Zeichnung zum Muttertag gemalt hat. Die Bedeutung erschließt sich wieder nur langsam und eröffnet eigentlich nur weitere Fragen für die Lesenden. Das Kapitel endet mit einem dramatischen Cliffhanger – aber Uketsu widmet sich im nächsten Kapitel gnadenlos einer neuen Person, einer neuen Geschichte und einer neuen Zeichnung. Der Krimi wechselt zu einem Kunstlehrer und seinem letzten Bild. Ab hier wird es dann nicht nur sehr kompliziert mit Alibis, Tricks und Zeugenaussagen, sondern auch erste Zusammenhänge zwischen Personen werden sichtbar (wenn man denn vorher gut aufgepasst hat!). Jede weitere Information hier würde allerdings auch zu viel vorwegnehmen, was im letzten Kapitel offenbart werden wird. Es sei nur gewarnt: In diesem Kapitel wird es mehr als drastisch und brutal, denn Kunstlehrer und Journalist finden keine schönen Enden.

Der Autor Uketsu ist ein japanischer YouTuber mit 1,74 Millionen Abonnenten und hat in Japan das Genre des „Sketch Mystery“-Romans etabliert, in denen sich Text und Zeichnungen miteinander verbinden. Er tritt immer in einem schwarzen Ganzkörperanzug und einer weißen Maske auf – niemand kennt seine Identität. Wer einen Eindruck von diesem seltsamen Autorenwesen und dem Umgang der Japaner mit diesem Phänomen erhalten möchte, kann sich auf YouTube seine Pressekonferenz im „Foreign Correspondents‘ Club of Japan“ ansehen.

Fazit:

„Seltsame Bilder“ ist nicht unbedingt ein Krimi zum Mitraten – stattdessen muss man „mitschwimmen“, nehmen, was an Informationen kommt und Geduld haben. Geduld, bis sich die verschiedenen Kapitel zunächst an ganz kleinen, unauffälligen Stellen in Verbindung setzen lassen und Personenkonstellationen ein wenig sichtbar werden. Ein wichtiger Tipp: Fast jede erwähnte Person hat eine Bedeutung. Uketsu erzählt sehr japanisch-nüchtern, vieles wird in der Auflösung sehr genau erläutert, wichtige Zeugenaussagen und Bilder werden im Buch selbst auch immer wieder erneut abgedruckt, so dass man nicht zurückblättern muss.

Das Buch mit seinem wunderschönen Cover, den Zeichnungen und Schriftzeichen ist wirklich ungewöhnlich und für Menschen mit Japan-Liebe ein Genuss. Die Zeichnungen hätte man allerdings größer und deutlicher abdrucken sollen. Die Auflösung ist durchaus verstörend und sehr konstruiert, wird durch den nüchternen Erzählton sogar noch irritierender. Für wen ist dieser gezeichnete Krimi etwas? Für alle, die offen sind für ungewöhnliche Formate und für die japanische Gesellschaft, die unter der harmonischen Oberfläche düstere und befremdliche Persönlichkeiten verbirgt. Und die nach der letzten Seite des Krimis auch gerne wieder unverzüglich vorne anfangen, weil sich nun so vieles erschließt.

Wertung: 14/15 dpt

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1 Kommentar
  1. Wow, tolle Rezension zu einem spannend klingenden Buch. Glückwunsch zu dieser besonderen Buchwahl. Ohne die Buchvorstellung hätte mich der Titel gar nicht gelockt.

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