Ehrlicher Rückblick eines Superstars, der eigentlich nur ein Mensch ist.
Noch vor dem Ohrfeigen-Eklat auf der diesjährigen Oscar-Verleihung bringt Will Smith mit seinem Koautor Mark Manson Ende 2021 seine Memoiren heraus – vielleicht hat der Skandal den Verkauf noch einmal angekurbelt, nötig hatte der New York Times-Besteller das allerdings nicht. Von Talk-Queen Oprah Winfrey in den USA als „beste Biografie, die ich je gelesen habe“ gefeiert, verspricht das großformatige Hardcover mit seinem stolzen Kampfgewicht und über 500 Seiten bereits optisch einiges an Inhalt.
Der Superstar blickt zurück auf sein Leben, angefangen bei seiner Kindheit in einem Reihenhaus in „West Philly“ bis hin zu seinem 50. Geburtstag (inzwischen ist Will 53) in Malibu. Genauer gesagt: Bis zu dem Event, das Will an diesem Geburtstag veranstaltet, indem er einen Bungee-Sprung aus einem Helikopter in den Grand Canyon macht – YouTube Live-Streaming inklusive.
Das Buch enthält viele Privatfotografien und schafft es, die Leser*innen von Anfang an in seinen Bann zu ziehen: Wills Kindheit und die seiner Geschwister war geprägt vom militärischen Regiment seines Vaters. Sprüche wie „Wenn zwei Leute das Sagen haben, sterben alle“, um seine Vormachtstellung zu verdeutlichen und die Erwartung absoluter Perfektion standen an der Tagesordnung. Trotz Alkoholismus und häuslicher Gewalt bewundert Will seinen Vater, dessen Namen er trägt: Willard Caroll Smith II – nicht Junior, wie der Schauspieler immer wieder berichtigt. Er lernt bereits als kleiner Junge, wie wichtig es ist, seine Familie zum Lachen zu bringen, um brenzlige Situationen abzuwenden – denn wenn „Daddio“ lacht, schlägt er nicht zu. Dieses schockierende Opening zeigt: Will Smith meint es ernst mit seiner Autobiografie, er zieht blank und verrät Intimes. In einem Interview sagte er, dass es ihm erst nach dem Tod seines Vaters möglich war, das Buch zu schreiben.
Seine Mutter Carolyn und die religiöse Grandma, Gigi, prägen Wills Kindheit in positiver Weise: Neben der Disziplin seines Vaters verkörpern sie Wissen (seine Mutter war eine der ersten Schwarzen Frauen an der Carnegie Mellon University) und Liebe und gaben ihm die Werte, die er auch an seine Kinder weitergegeben hat.
Besonders spannend sind Wills Berichte über die Anfänge des Hip-Hops in den 80ern – damals wurde an den Schulen mit Tapes (Kassetten) gehandelt: Live-Mitschnitte von Auftritten in Clubs. Die Kids trafen sich spontan zu Rap-Battles an Straßenecken. Er erzählt von der Entwicklung der Bewegung rund um die MCs (Master of Ceremony) und DJs, die am Anfang der Bewegung als wahre Stars im Vordergrund standen, bevor sie im Hip-Hop eher in den Hintergrund rückten. DJ Jazzy Jeff bastelte im Keller seiner Mutter an seinen Songs, erfindet Scratch-Techniken und gewinnt 1986 das New Music Seminar’s DJ Battle for World Supremacy – mit Will im Schlepptau, der seine Rap-Idole vor Ort anhimmelt. Nach dem Schulabschluss feilen die beiden an ihrer Karriere als „Jazzy Jeff & The Fresh Prince“, haben schnell Erfolg und gewinnen 1989 einen Grammy! Den ersten, der in der Kategorie „Rap“ jemals vergeben worden ist. Damit trugen sie maßgeblich dazu bei, dass Rap im Musik-Mainstream ankam – sie haben Geschichte geschrieben.
»Schwarz genug« für die Produzenten der Grammy-Verleihung: Die Kategorie „Rap“ wurde von der TV-Aufzeichnung der ausgeschlossen, weshalb Will und Jazzy Jeff die Veranstaltung boykottierten und nicht erschienen.
Niemals allein
Auffällig ist, dass Will Smith sein komplettes Leben in der Gesellschaft einer großen Entourage verbringt: seine Geschwister, die er beschützen möchte, dann später seine Crew auf Tour, die gleichzeitig Wills Schulfreunde sind: Beatboxer Ready Rock, Breakdancer Omarr, DJ Jazzy Jeff und Charlie, der Security-Mann. Später seine erste Frau und Sohn Trey, dann Jada und die Kinder Willow und Jaden. Die Familie wird zum Familienbetrieb. Oder natürlich die allgegenwärtigen Film-Crews, kaum Pausen zwischen den Blockbuster-Drehs und Videopremieren. Grenzen zwischen Freunden und Kollegen scheint es bei ihm nicht zu geben, Beruf und Privatleben sind eins. Will ist buchstäblich nie allein. Das wird auch im Buch thematisiert, denn er merkt: Er definiert sich über andere, er kann nicht nur Will sein. Er ist Superstar, Rapper, Serienheld, The Fresh Prince, Kino-Kassenschlager, Daddy, Freund, Ehemann. Immer der beste, netteste und lustigste. Doch selbst Wills Kräfte sind irgendwann erschöpft. Er beginnt mit einer Therapeutin herauszufinden, was ihm fehlt, oder vielmehr: Welche Werte ihm wichtig sind, wer der Mensch Will Smith überhaupt ist.
Seine Ehekrise mit Jada wird im Buch zum Glück nicht breitgetreten, auch wenn man ahnt, dass sie die ausschlaggebende Person ist, die hinter Wills Umdenken steckt. Die erstaunliche Schauspielerin malt, schreibt Gedichte und macht Musik, was Will ebenfalls bewundernd erwähnt. Ihre Nu Metal Band „Wicked Wisdom“ feierte große Erfolge, zum Beispiel auf dem bekannten Festival „Ozzfest“, gegründet von Sharon Osborne.
Das Buch ist in 21 Kapitel gegliedert, die Titel tragen wie „Zielsetzung“, „Hoffnung“ oder „Kapitulation“ und lassen schon vorweg ahnen: Es wird psychologisch. Dem ist auch so und das war der größte Kritikpunkt für mich beim Lesen: Der Lifecoach-Ton rückt ein paar mal zu oft in den Vordergrund. Will möchte die Leser*innen an seiner Wesensentwicklung teilhaben lassen, durchaus lobenswert, einen erhobenen Zeigefinger braucht es dabei aber nicht. Vermutlich kommt hier auch der Koautor durch: Mark Manson ist in Amerika erfolgreicher Autor von Selbsthilfe-Ratgebern. Mehrfach erwähnt Will Smith auch sein Lieblingsbuch „Der Alchimist“ – wer diesem ebenfalls zugetan ist, wird die Lebensberatungs-Passagen vielleicht sogar mögen, mir waren das einige Gleichnisse und Ausflüge in die Küchenpsychologie zu viel. Aber dafür punktet das Buch mit vielen (authentisch geschilderten) Erfahrungen, die derartige Entgleisungen sowie manche Großspurigkeiten locker wettmachen.
Fragwürdig ist, warum das Buch gleich sechs Übersetzer*innen beschäftigt hat. Besonders, da einige Passagen am Anfang des Buches in der Übersetzung deutlich zu wünschen übrig lassen. Es hätte dem Buch gutgetan, hier einige amerikanische Slang-Ausdrücke nicht zu übersetzen und sie zum Beispiel stattdessen in einem Anhang zu erklären. Darüber hinaus werden einige Begriffe merkwürdig süddeutsch übersetzt, wie zum Beispiel die „Geschichts-Ex“ in der Schule, die eine Extemporale meint, also einen unangekündigten Test. Das dürfte sicher nicht allen bekannt sein.
Urteil aus Sicht eines Fans
Als Will Smith-Fan kann ich das Buch weiterempfehlen. Es ist auf jeden Fall interessant, die detaillierten Erzählungen über die verschiedenen Lebensphasen und Erfolgsstationen des Hollywoodstars zu verfolgen. Die geschilderten Erlebnisse sind teils schockierend, berührend und oft so intim, dass man sich beim Lesen fast wie ein Voyeur vorkommt. Aber Ehrlichkeit ist auch genau das, was eine lesenswerte Autobiografie ausmacht. Das Buch spricht auf jeden Fall ein breites Spektrum an Will-Fans an: Diejenigen, die an seinem Privatleben interessiert sind, Rap-Fans sowie Cineasten, die mehr über die Entwicklung von Wills Hollywood-Karriere erfahren möchten. Aber aufgepasst: Mit Sicherheit wird es euren Super-Will vom Sockel holen, auf den ihr ihn gestellt habt. Es wird zu einer Entzauberung kommen. Gleichzeitig fühlt man sich dem Mensch Will Smith so nah wie nie zuvor. Auch wenn es beim Zuklappen des Buchs eine einseitige Freundschaft bleibt.
Ach ja, und es wäre nicht die Autobiografie von Will Smith, wenn sie nicht einen EPISCHEN Trailer hätte. Natürlich. 😉
- Autor: Will Smith mit Mark Manson
- Titel: WILL. Die Autobiografie
- Originaltitel: WILL
- Übersetzer: aus dem amerik. Englisch von
Claudia Arlinghaus, Bernhard Schmid, Peter Torberg, Maja Ueberle-Pfaff, Anke Wagner-Wolff, Elvira Willems - Verlag: Heyne Verlag
- Erschienen: 09. November 2021
- Einband: Hardcover
- Seiten: 528
- ISBN: 978-3-453-20729-5
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 12/15 dpt