Anica Plaßmann – Sexfrei (Buch)


Roter Hintergrund mit Fliederflecken - erinnert an das Fell von Giraffen. In weiß: "Sexfrei" und Autorinanme: "Anica Plaßmann".
© Droemer Knaur*

Anica Plaßmann – Sexfrei

Sex ist immer und zu jeder Zeit da. 

Sei es in Filmen und Werbung, in zwischenmenschlichen Beziehungen oder Machtgebärden von unsicheren Menschen. Sex bestimmt, in welcher Beziehung wir miteinander stehen, welchen Selbstwert wir besitzen oder wie stark und erfüllt unsere romantische Beziehung auf andere Menschen wirkt. Wir bewerten Menschen nach ihrer Attraktivität und ihrer Potenz – Erfolg wird mit Sexappeal gleichgestellt und der unsichtbare Sexzwang verfolgt uns bis wir Performanzangst bekommen oder “es tun” um es “getan zu haben”.

Sexzwang – wie bitte?

Früh lernen wir (wie mit Alkohol), dass Sex “einfach dazu gehört”. In der Pubertät tuscheln wir darüber, “wer es bereits gemacht hat” während gerade Mädchen den Balanceakt zwischen nicht-als-nuttig und nicht-als-prüde zu gelten meistern müssen. Beziehungen sind unerfüllt, wenn es nicht “regelmäßig getan” wird – was man natürlich niemals jemand erfahren darf! Währenddessen messen wir uns ständig daran, was ein “normales” Sexleben ist, was daran festgestellt wird, ob der Sex hart genug, schnell genug und glitschig genug ist, obwohl man eigentlich auf Kuschelsex steht.

Und Sex gar nicht zu mögen, ist eine Todsünde. Man ist abnormal.

Wann auch immer es um Sex geht, scheint es ein neues Set an Regeln und Normen zu geben, die so nicht in anderen Lebensbereichen gelten: Zustimmung, Präferenzen und No-Gos werden anders bewertet – wenn sie überhaupt berücksichtigt werden.
An Sex hängt aber auch Identität, Selbstwert und sozialer Status, ohne dass man sich dem jemals wirklich bewusst werden muss.
Dass Pornos keine Sexualkunde sind ist dabei nice-to-know und kein Allgemeinwissen.

Aber um zu meiner anfänglichen Behauptung zurückzukommen; Sexzwang – gibt es das wirklich? Annica Plaßmann scheint mir mit ihrem Buch “Sexfrei” mit pointierten Argumenten und ihren Reflexionen über mehreren Jahren Arbeit als Sex- und Paartherapeutin zuzustimmen.

Anica Plaßmann ist eine Sexualtherapeutin, die bereits unzählige Paare beraten durfte. Dabei war meistens ein Bruchstück am auffälligsten, an dem die Probleme der Beziehungen am deutlichsten wurden: Sex. Oder besser gesagt: Der Mangel an dem.

Direkt zu Anfang stellt Plaßmann die Frage, ob zu einer gelungenen Beziehung Sex gehört und woher das mangelnde Interesse an dieser Tätigkeit kommt. Plaßmann betont dabei, dass es in Ordnung ist, kein Sex zu wollen und spricht sich gegen die Pathologisierung von Asexualität aus.

Basierend auf ihrem psychologischen Wissen und veranschaulicht durch ihre Praxiserfahrungen geht Plaßmann darauf ein, welche Gründe zu mangelnden Sex in Beziehungen führen können, wie man mit den möglichen Gründen umgehen und auch Frieden mit der Unlust (auch in Beziehungen) finden kann. Währenddessen stellt sie die Frage, woher der Gedanke kommt, ständig in Beziehungen Sex haben zu müssen oder die Beziehungsqualität am Sexleben messen zu wollen.

Eine der größten Probleme in sexuellen Beziehungen war dabei die mangelnde Selbstreflexion über die eigenen Bedürfnisse, das psychologische Innenleben und die sozialen Normen, die das eigene Verhalten unbewusst mit formen. Aber auch fehlende oder missverstandene Kommunikation war ein großes Problem.

Oft hatten die Beteiligten die Idee, dass sie “einfach verstanden werden” sollen und Bedürfnisse selbstverständlich seien.

Deswegen gab es auch Fälle, in denen die eigenen Bedürfnisse der Betroffenen unterdrückt wurden, aus Scham als nicht normal oder abstoßend zu gelten, ohne zu wissen, was denn überhaupt “normal” sei. Das führte sogar dazu, dass es teilweise gar keinen Sex mehr gab, da dieser mit so vielen negativen Emotionen verbunden war.

Aber gerade die Frage danach, ob man überhaupt Sex haben muss, macht dieses Buch so wichtig für mich. Denn diese unscheinbare Frage einen dazu zu hinterfragen, was sonst als normal und selbstverständlich gilt! Was ist denn normaler Sex oder eine normale Beziehung? Ist hetero-sein das einzige, was ich mir vorstellen kann? Muss ich jeden Bondage-Hype mitmachen und worauf stehe ich wirklich? Und was machen wir mit Menschen, die gar keinen Sex haben wollen?

Das ganze Buch wird dabei in Umgangssprache mit kurzen Abschnitten gehalten, ohne an Professionalität oder Komplexität zu verlieren, indem mit Beispielen gearbeitet und Definitionen erklärt wurden.

Deswegen ist “Sexfrei” ein Buch, dass ich unbedingt weiterempfehle: Plaßmann geht sensibel mit einem Thema um, an dem ganze Identitäten und Selbstverständnisse hängen. Behutsam zwingt sie einem beim Lesen dazu sich selbst und das eigene Umfeld zu reflektieren – egal ob man ein erfülltes Sexleben oder nicht mal Interesse an Masturbation hat. Erst durch Aufklärung und Reflexion kann man nämlich ein selbst bestimmtes Liebesleben führen.

In diesem Zusammenhang möchte ich aber noch zwei Bücher empfehlen: Einmal “Mit Fingerspitzengefühl” von Julia Pietrie und “Loveless” von Alice Oseman.
“Mit Fingerspitzengefühl” zeigt anhand Umfragen auf, wie weiblich gelesene Menschen tatsächlich masturbieren, ohne moralische Werte oder irgendeine Norm zu predigen.

“Loveless” ist eine zuckersüße Geschichte darüber, wie Georgina ihre Asexualität entdeckt und herausfindet, was das für sie und ihre Beziehungen bedeutet.

  • Autor: Anica Plaßmann
  • Titel: Sexfrei
  • Verlag: Droemer Knaur*
  • Erschienen: 2021
  • Einband: Paperback
  • Seiten: 320
  • ISBN: 978-3-426-21489-3
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten


    Wertung: 14/15 dpt


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