Megan Abbott – Wage es nur (Buch)


Cheerleading ist nicht nur Leistungssport, sondern Kampf: Gegen die Konkurrenz, den eigenen Körper, die Schwerkraft und gegen vermeintliche Freundinnen. Nicht nur, wenn es um Positionen innerhalb des Teams geht. Kapitänin Beth Cassidy hat ihre Mannschaft im Griff, im Guten wie Schlechten, unterstützt von ihrer besten Freundin Addy Hanlon, dem Lieutenant der Gruppe, die gleichzeitig Erzählerin des Romans ist. Bis das Auftauchen der neuen Trainerin Colette Fench das langjährige Gefüge ins Wanken bringt. Sie entmachtet Beth und protegiert Addy, was eine Reihe von finsteren Entwicklungen, verbunden mit dramatischen Ereignissen in Gang setzt.

Wieder einmal erweist sich Megan Abbott als meisterliche Coming-Of-Age-Chronistin. Bei ihr gibt es keine simplen, nur auf Effekt und Affekt abzielende Gefühle und Beziehungen. Die jungen Frauen in “Wage es nur” sind komplex, gefangen in widerstrebenden Regungen und Überlegungen. Das System “Cheerleading” wird von den Beteiligten nicht hinterfragt, selbst wenn Bänder reißen, blutige Wunden geschlagen werden oder Knochen brechen. Es ist der Maßstab, hinter dem selbst Mobbing und Bodyshaming wie planvolle Ratschläge propagiert werden.

Das Beziehungsgeflecht verwebt die Autorin gekonnt und vielschichtig. Rangordnungen sind fluide und die Kunst der Verführung beherrschen die meisten Beteiligten exzellent. Die der Selbstverleugnung auch. Stimmen der Vernunft werden durchaus gehört und erörtert, aber schnell beiseite gefegt. Mit einem Lächeln, einer Beleidigung oder Degradierung. Die Vorbereitung aufs große Spiel läuft, möglicherweise sind Scouts anwesend, Störungen und Risse im personellen Gefüge beschäftigen zwar die Gemüter, müssen aber wie Prüfsteine überwunden werden.

Ein unnatürlicher Todesfall bringt die Pyramide ins Wanken, doch vorerst fällt sie nicht. Angefangen bei Erzählerin Addy sind die Figuren ambivalent, es gibt keine simplen Gut versus Böse-Schemata, kein bloßes Aufzeigen von toxischen Beziehungen. Das sorgt für ein gerüttelt Maß an Spannung, da wahre Motive oft hintergründig sind und besonders gegen Ende für glaubwürdige Plot-Twists sorgen.

Interessanterweise spielen die Sportarten, die Cheerleading begleiten, keine Rolle im Text. Football- und Basketballstars kommen nicht vor, Jungs finden sich nur als Marginalien am Spielfeldrand wieder. Von den Angehörigen des militärischen Rekrutierungstrupps an der Highschool abgesehen, die in entscheidenden Momenten in den Fokus rücken.

Die Krimihandlung um einen Selbstmord, der möglicherweise ein Mord war, läuft mit Bedacht, aber beständig im Hintergrund und führt vor Augen, dass solch ein Todesfall vor allem Opfer produziert. Allen Intrigen und Missetaten zum Trotz, stellt Megan Abbott ihre Protagonistinnen nicht als perfide kleine Monster bloß, sondern bewahrt ihre Würde und schenkt ihnen gelegentlich tiefgehende Einsichten. Da sie eine hervorragende Stilistin mit eigenem Tonfall ist, der auch in der stimmigen deutschen Übersetzung gewahrt bleibt, gelingt ihr dies überzeugend und sorgt für enormes Lesevergnügen.

Die neue Trainerin. Hatte sie in der ersten Woche mehr gesehen als die gestylten Haare und glänzenden Beine, den Glitter auf unseren Augenbrauen und das Gehabe?

Konnte sie hinter all das blicken: all unsere Nöte, wie sehr wir uns selbst hassten, , alle anderen aber noch viel mehr? Konnte sie hinter alledem etwas anderes erkennen, etwas Loderndes und Aufrichtiges, etwas, das verändert, herausgestellt, erschaffen werden wollte? Sah sie, dass sie uns neu erschaffen konnte, dass sie ihre Hände in unser glitzerbestäubtes Innerstes stecken und uns zu glorreichen Teenie-Gladiatorinnen formen konnte?

So erschafft die Autorin ein eigenes Genre, den “Cheerleader-Noir”. Und das ist selbst für Menschen, die mit Pompons und gewagten Tanz- und Stuntchoreografien nichts am Hut haben, äußerst lesenswert. Keine Ahnung vom Metier zu haben, ist keine Ausrede, denn jede im Roman erwähnte Technik lässt sich im Netz leicht eruieren. Mit dem 2012 entstandenen “Dare Me” erweist sich Megan Abbott einmal mehr als eine der interessantesten Erzählerinnen der gegenwärtigen (Kriminal)literatur.

2019 entstand zehnteilige Serie “Dare Me” (“Wage es nicht”, warum auch immer statt des besseren Romatitels “Wage es nur!”) zum Roman. Man kann sie bei einem Streamingdienst (als mehrzahlender) Vorzugskunde und bei einem anderen als Käufer anschauen. Leider gibt es hierzulande keine Veröffentlichung auf einem physischen Medium. Die Kritiken klingen recht gut, eine Sichtung fand hier noch nicht statt.

Cover © Pulp Master

  • Autor: Megan Abbott
  • Titel: Wage es nur!
  • Originaltitel: Dare Me!
  • Übersetzer: Karen Gerwig
  • Verlag: Pulp Master
  • Erschienen: 04/2024
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 340
  • ISBN: 978-3-946582-18-2
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite
  • Erwerbsmöglichkeiten


    Wertung: 12/15 dpt


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