Annika Büsing – Wir kommen zurecht (Roman)

Nach ihrem fulminanten Debüt mit „Nordstadt“  und dem nicht weniger beeindruckenden Zweitling „Koller“ beweist Büsing mit ihrem neuen Roman „Wir kommen zurecht“, dass sie längst kein Geheimtipp mehr ist.

Thematisch bleibt sich die Autorin treu. Wie in ihren vorangegangenen Büchern richtet sie den Fokus auf Zwischenmenschliches. Das Thema „Familie“ bzw. „schwierige Eltern-Kind-Beziehungen“ bleibt ein zentrales Anliegen ihres Schreibens.

Im Mittelpunkt steht der fast 18-jährige Philipp. Auf den ersten Blick betrachtet wirkt sein Leben ziemlich störungsfrei. Philipp steht kurz vor dem Abi. In der Schule läuft alles rund. Vater Lothar ist ein erfolgreicher Chirurg, der seiner Familie ein priveligiertes Leben mit hübschem Eigenheim und regelmäßigen Urlauben ermöglicht. Auch mit Stella, der jungen Lebensgefährtin des Vaters, kommt Philipp gut klar. Sie bilden zusammen eine hübsche, harmonische Patchwork-Familie. Philipp ist ein stiller und folgsamer Jugendlicher. Ab und zu mit seinem besten Freund Jonas abzuhängen und mal etwas Gras zu rauchen, gehört bereits zu den wildesten Dingen, die er unternimmt.

Trotzdem liegt ein Schatten auf der Familie. Philipps leibliche Mutter ist psychisch krank. Vor Jahren hat sie die Familie verlassen, nachdem sie zuvor jede Menge Chaos angerichtet hat. Vor allem Philipp hatte darunter zu leiden. Das Erlebte war traumatisch. Seitdem fürchtet er sich vor der Begegnung mit ihr. Als sie plötzlich wieder in Erscheinung tritt und den Kontakt zu ihm sucht, setzt das einen Prozess in Gang, der sowohl Philipps‘ Leben als auch das der Seinen nachhaltig verändern wird.

Behutsam legt die Autorin die Verletzungen frei, die alle Beteiligten mit sich tragen. Büsing porträtiert eine Familie, die „zurecht kommt“.

Mit großer Empathie widmet sie sich ihren Protagonisten. Nicht nur Philipp ringt mit seinem Trauma, das sich in bruchstückhaft an die Oberfläche drängenden Traumbildern manifestiert. Auch Vater Lothar kämpft darum, zurechtzukommen. Als alleinerziehender, alleinverdienender Vater mit extrem verantwortungsvollem Beruf steht er mächtig unter Druck. Er will die Dinge am Laufen halten und seinen Sohn schützen. Ein Unterfangen, das nur bedingt gelingen kann. Denn er muss den Heranwachsenden irgendwann loslassen.

Büsing erzeugt einen Raum, in dem sich alle zwischenmenschlichen Beziehungen authentisch darstellen. Trotzdem wirkt das Ganze nie überfrachtet.

Sie punktet mit ihren klug ausbalancierten Dialogen, die sich immer sicher zwischen lockerem Humor und tiefer Emotionalität bewegen. Überhaupt ist Humor für die Autorin ein Stilmittel, welches sie geschickt einsetzt, um Klischees zu umgehen, selbst dann, wenn tiefe Emotionen gezeigt werden.

Keine Figur erscheint schwarz oder weiß. Alle Protagonisten sind auf ihre Weise liebenswert. Genau mit dieser Empathie, die Büsing erzeugt, zieht sie ihre Leserschaft in Bann. Nicht immer erscheint dieses von Grund auf Gute glaubhaft. Aber immer präsentiert es sich so, wie man es sich wünscht. Und genau das verwandelt die im Grunde ernste Geschichte zu etwas sehr hoffnungsvollem.

Büsings Roman wird von Sympathie und Liebe getragen. Denn im Grunde sind alle Figuren, auch jene, die anderen Probleme bereiten, keine schlechten Menschen. Büsing setzt auf die Kraft der Versöhnung und des Verständnisses. Sie macht es uns quasi unmöglich, ihre Protagonisten nicht zu mögen. Darum gibt es an dieser Stelle auch für diesen Roman von ihr wieder eine ganz fette Leseempfehlung!

  • Autorin: Annika Büsing
  • Titel: Wir kommen zurecht
  • Verlag: Steidl Verlag
  • Erschienen: März 2025
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 288 Seiten
  • ISBN: 978-3969994542

Wertung: 13/15 dpt

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