Atmosphärisch dichter Debütroman über die Faszination des Outback

Es ist Anfang November, somit noch nicht ganz Sommer in Queensland, Australien, aber die Temperaturen erreichen jetzt schon an die vierzig Grad. Von der Kleinstadt Caloodie machen sich die beiden jungen Deutschen Rita Guerra und Berndt Meyer auf den Weg in das zweihundert Kilometer entfernte Kaff namens Smithton, wo sie als Backpacker auf einer Farm arbeiten wollen, um dadurch ihr Visum zu verlängern. Samstag sollten sie die Farm erreichen, am Montag meldet sie der Farmer als vermisst. Wenn sie der Hitze ausgesetzt waren und zu wenig Wasser bei sich hatten, könnte das Outback zur tödlichen Falle geworden sein. Doch auf dem einzigen Highway, der die beiden Orte verbindet, wurde kein liegengebliebenes Auto entdeckt.
DS Lucas Walker von der Federal Police in Sidney hat Sonderurlaub, um seine im Sterben liegende Großmutter in Caloodie zu besuchen. Hier wuchs er als Kind auf, jetzt ist er der ranghöchste Polizist weit und breit, denn in der Wache in Caloodie hält nur Senior Constable Dave Grogan die Stellung.
Überall wird geraten, ausreichend Wasser sowie Ersatzkanister mit Benzin mitzunehmen und immer beim Wagen zu bleiben, dennoch denken die meisten, sie könnten sich zu Fuß bis zur nächsten Stadt durchschlagen, vor allem die Europäer, die einfach nicht kapieren wollen, dass die nächste Stadt – oder das, was sie hier Stadt nennen – zweihundert Kilometer entfernt sein kann. Und das die Hitze, die heute wieder 40 Grad und mehr betragen wird, Menschen binnen Minuten nicht Stunden, umhauen kann.
Walkers Chef Dan Rutherford bittet ihn, bei der Vermisstensuche zu helfen und wird offiziell als Verbindungsmann zwischen Auswärtigem Amt und den Familien der Vermissten eingesetzt. Ein Hubschrauber fliegt den Highway und die weitläufige Umgebung ab, Dashcams der Trucker werden ausgewertet. Ohne Ergebnis, Rita und Berndt bleiben verschwunden. Da erhält Walker unerwartet Hilfe, die er zunächst nicht genau einzuordnen weiß. Ritas ältere Schwester Barbara arbeitet als Kriminalkommissarin beim LKA Berlin und hat sich Urlaub genommen, um ihre Schwester zu finden.
Barbara war noch nie im Outback, dennoch bindet sie Walker in seine Arbeit ein und bald erkennen beide, dass es ähnliche Vorfälle in den letzten Jahren gab. Sollte in den unvorstellbaren Weiten von Queensland ein Serienmörder Jagd auf junge Frauen machen? Eine vielversprechende Spur führt Walker zu den Vandals, einer Motorradgang, die zudem im landesweiten Drogengeschäft groß mitmischt. Allerdings befiehlt ihm Rutherford, jegliche Ermittlungen in diese Richtung umgehend einzustellen.
Auftakt der Lucas-Walker-Reihe
Patricia Wolf legt mit „Outback – Niemand hört dich schreien“ einen bemerkenswerten Debütroman vor, in dem die Landschaft respektive deren unwirtliche Umgebung der heimliche Star ist. Karge Landschaften, die gleichwohl eine interessante Tierwelt bieten, hohe Temperaturen schon im Vorsommer und riesige Entfernungen zwischen einzelnen Orten und Farmen. Wer hier verloren gehen will, wird niemals gefunden. Die im Roman genannten Orte Caloodie, Smithton und Hopeville sind zwar fiktiv, geben gleichwohl einen faszinierenden Einblick in jene Gegend, in der die Autorin aufgewachsen ist.
Jedes Jahr werden in ganz Australien rund achtunddreißigtausend Menschen als vermisst gemeldet, achtundneunzig Prozent von ihnen werden lebend und wohlbehalten binnen einer Woche gefunden. Allerdings bedeutet das – er rechnet schnell im Kopf nach –, dass ungefähr siebenhundertfünfzig Personen verschwunden bleiben.
Die Handlung wechselt zwischen Walker, Barbara sowie gelegentlich Grogan und dem gesuchten Serienmörder, dessen Name dabei nicht genannt wird. So gibt es mehrere Verdächtige und besagte Spur zur Bikergang, die Walker nicht verfolgen darf, was er ein stückweit dennoch macht, denn er will alle Möglichkeiten überprüfen, um eventuell noch Leben zu retten. Die Vandals bieten zudem eine Verbindung zwischen Rutherford und Grogan, wobei der eine das damit verbundene Drogenkartell niederschlagen will, während der andere dezent die Hand aufhält. Orientiert an den Wochentagen wird die Geschichte vorangetrieben, wobei der Leser den beiden Helden wider Willen (Walker und Barbara) einen Schritt voraus ist, denn durch die Szenen unter Beteiligungen des Täters wird klar, ob Rita und Berndt noch am Leben sind.
Australien ist beileibe kein blinder Fleck auf der Landschaftskarte für Kriminalromane. Man denke nur an Altmeister Peter Temple (2018 verstorben) und Garry Disher sowie an Candice Fox oder Jane Harper. Wegen des gleichnamigen Titels „Outback“ – nicht verwechseln – sei Chris Hammer noch erwähnt, viele weitere wären zu nennen. Daher ist es durchaus bemerkenswert, dass es sich vorliegend um einen – wie erwähnt – Debütroman handelt, der gleichzeitig den Auftakt zur DS-Lucas-Walker-Serie bildet, die auf vier Romane angelegt ist. Ein Wiedersehen mit dem sympathischen Ermittler ist quasi gesetzt, wobei man möglicherweise Barbara vermissen wird. Doch warum sollte sie nicht nach Berlin zurückkehren? Lassen wir uns überraschen und wer es bislang noch nicht getan hat, zudem ein Faible für Australien, das Outback oder generell ausgefallene Handlungsorte hat, kann gerne zugreifen.
- Autorin: Patricia Wolf
- Titel: Outback – Niemand hört dich schreien
- Originaltitel: Outback. Aus dem Englischen von Kristina Lake-Zapp
- Verlag: Goldmann
- Umfang: 480 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Februar 2025
- ISBN: 978-3-442-49571-9
- Produktseite

Wertung: 12/15 dpt