Was passiert eigentlich mit den Träumen, an die wir uns am nächsten Morgen nicht mehr erinnern?

Isra ist ein Nachtalb – sie und ihresgleichen leben von Träumen. Von unseren Träumen, die sie uns heimlich abzapfen wenn wir schlafen und uns im Gegensatz dazu einen kleinen, schnuckeligen Albtraum dalassen. Offiziell arbeitet Isra allerdings in einem Varieté. Erst wenn dieses spät abends schließt, macht sie sich auf in die Wohnungen fremder Menschen, die ahnungslos in ihren Betten liegen. In einer Nacht scheint sie es aber übertrieben zu haben und der Träumer, den sie besucht, verstirbt im Schlaf. Isra drohen Sanktionen und im schlimmsten Fall der Ausschluss aus der Albgesellschaft, ihr darf so etwas also auf keinen Fall noch einmal passieren. Tut es aber … nur dass Isra sich diesmal sicher ist, dass sie nichts dafür kann, sondern jemand anderes für den Mord verantwortlich ist!
Lisanne Surborg habe ich bei der langen Nacht der Phantastik aus „Nachtlügen“ lesen hören und mich dort sofort in ihren Sprachstil, ihre feinen Metaphern und auch ihre Art zu lesen verliebt! Und auch beim selber lesen hat mich „Nachtlügen“ nicht enttäuscht – erwartet hatte ich dennoch etwas anderes.
Vermutet hatte ich eine fantastische Welt samt Varieté und Theaterzauber, düsteren Grusel und ein eher in der Vergangenheit angesiedeltes Worldbuilding. Tatsächlich ist „Nachtlügen“ aber eine Urban Fantasy, vom Theater bzw. hinter den Kulissen bekommt man nicht allzu viel mit und so richtig zum Gruseln sind die Albträume, die Isra beschert jetzt auch nicht (zumindest wenn man kein Problem mit spinnenartigem Getier hat).
Der Horror, den Isra erlebt, ist weniger magisch als psychologisch: Halluzinationen, Verfolgungswahn, traumatische Kindheit, emotional manipulative Bezugspersonen. Isra ist eine sehr einsame Person, hat nur wenige Menschen um sich herum, denen sie vertraut, und denen macht sie es auch nicht immer leicht. Abgesehen von ihrer Stimmung und den auftretenden Halluzinationen, gelingt es aber für mich leider nur selten, eine düstere oder schaurige Atmosphäre herzustellen. Auch die verschiedenen Träume, bei denen wir mit Isra zusammen Zeugen sein dürfen, hätte ich mir einfallsreicher gewünscht. Wer schonmal einen Fiebertraum hatte, weiß wovon ich rede.
Schön fand ich aber die „Intermezzi“ zwischen den Kapiteln, in denen die Autorin das Worldbuilding weiter ausschmückt, sei es durch tatsächliche Fakten über Traumdeutung, oder auch Auszüge aus Podacasts, wissenschaftliche Abhandlungen und Regelwerke der Gesellschaft der Nachtalbe.
Alles in allem eine tolle Grundidee und kein schlechtes Buch, dem es aber am letzten Schliff und Atmosphäre fehlt, um für mich zum Lieblingsbuch zu werden.
- Autor: Lisanne Surborg
- Titel: Nachtlügen
- Verlag: Hobbitpresse
- Erschienen: 2025
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 464
- ISBN: 978-3-608-96647-3
- Sonstige Informationen:
- Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 9/15 dpt