Der Vorname (Spielfilm, DVD/Blu-ray)


Mit der Zahl von über einer Million Kinozuschauenden wird der DVD-/Blu-ray-Release von „Der Vorname“ beworben und tatsächlich hat der Film alles zu bieten, was eine Kinoproduktion in Deutschland zahlenmäßig erfolgreich macht: Eine mit namhaften SchauspielerInnen ausgestatte Familienkomödie, die irgendwie französisch anmutet. Tatsächlich handelt es sich um ein Remake des französischen Films „Le Prénom“, der sich bereits 2012 zu einem kleinen Erfolg mauserte. „Der Vorname“ ist ein gar nicht mal so furchtbarer Beitrag zum deutschen Mainstream-Kino, doch neben den offensichtlichen und vorhersehbaren Schwächen dieser deutschen Variante bleibt die Frage nach der künstlerischen Sinnhaftigkeit der Verfilmung von Theaterstücken genauso wie von Remakes.

2010 erschien das Theaterstück „Le Prénom“ von Alexandre de La Patellière und Mathieu Delaporte, die es zwei Jahre später selbst für die Kinoleinwand adaptierten. Der Einfluss der ebenfalls französischen Theaterproduktion „Le Dieu du Carnage“ ist unübersehbar, nur haben Yasmina Reza als Drehbuchautorin 2006 und Roman Polanski als Regisseur des Kinofilms „Gott des Gemetzels“ 2011 schon sehr früh eben diesen Pfad realisiert. Während sich die SchauspielerInnen in solchen Kammerspielprojekten auszeichnen können und im Kinoformat nun mal ein größeres Publikum zu erreichen ist (sich also deutlich mehr Geld verdienen lässt) als im Theater, stellt sich bei genauerem Hinschauen jedoch die Frage, was der künstlerische Anspruch einer solchen Kinoadaption sein mag. Zumindest in diesen beiden Fällen fehlen jedenfalls wirkungsvolle Ideen zur visuellen Umsetzung und Abgrenzung der beiden Medien.

Sönke Wortmann macht in „Der Vorname“ nicht viel mehr, als „Le Prénom“ ins Deutsche umzuschreiben: Statt in Paris spielt der Film in Bonn, statt französische werden deutsche Befindlichkeiten eingewoben. Warum diese Eindeutschung nötig war, kann höchstens im Nachhinein damit legitimiert werden, dass dies erwiesenermaßen um Längen besser beim deutschen Publikum ankam als die französische Vorlage. Der Plot, die Dialoge und selbst die große Mehrheit der Gags sind gleich geblieben und wie im Original einfach übersetzt worden, so wie es auch bei allen anderen Megaexporten aus dem französischen Comedy-Fach praktiziert wurde. Ob es nun am Cast, der Werbung oder der Ignoranz des potenziellen Kinopublikums lag, es hat in jedem Fall funktioniert.

In „Der Vorname“ wird zum kleinen, aber feinen Essen geladen: Stephan (Christoph Maria Herbst), Literaturprofessor, und Elisabeth, (über-)engagierte Lehrerin, sind die Gastgebenden, die Kinder sind zu seinen Eltern abgeschoben, damit die Erwachsenen unter sich bleiben können. Vorher hatte sich Elisabeths Mutter Dorothea (Iris Berben) telefonisch gemeldet, die noch einmal aufblüht und sich munter die Welt schönkifft. René (Justus von Dohnánayi), die Klarinette im Bonner Orchester, kommt überpünktlich, er ist der beste Freund von Elisabeth und wurde als Kind von der Familie aufgenommen. Elisabeths Bruder Thomas (Florian David Fitz), der fesche Immobilienmakler, kommt ohne seine schwangere Freundin Anna (Janina Uhse), die sich wegen eines Castings für eine neue Schauspielrolle verspätet. Als die klischeehaften Charaktere und Konfliktherde ausgebreitet sind, kommt das Gespräch auf die anstehende Geburt – und es geht los.

Ob die werdenden Eltern denn schon einen Namen hätten. Ja, ratet doch mal! Das Spielchen zieht sich, bis der zukünftige Vater es dann verkündet: Adolf soll der Kleine heißen. Gelächter, ungläubiges Staunen, doch als Thomas ernst bleibt, schlägt die Stimmung in ablehnend und aufgebracht um. Das geht doch nicht, der Name sei kontaminiert, was würde man dem Kind damit antun, das darf man nicht, das ist doch… ne, verboten ist es nicht. Thomas stellt sich den Argumenten, weiß ihnen mal mehr, mal weniger entgegenzusetzen. Doch es bleibt dabei: Warum ist es eine per se schlechte Idee?

Hierin wird die Stärke des Stücks deutlich, die im Original-Theaterdrehbuch zu identifizieren ist. Sprachlich für ein Massenpublikum aufbereitet, aber in der Sache clever verdichtet und ambitioniert gestaltet, wird die gesellschaftliche Funktion von Namen verhandelt. Das auf Komplexitätsreduktion angewiesene Wesen Mensch nutzt Namen gerne, um sich das Weltgeschehen zu vereinfachen, egal ob es sich nun um den richtigen, den Kose- oder den Spitznamen handelt. Es geht darum, etwas möglichst knapp auf den Punkt zu bringen, was zwangsläufig Vorurteile mit sich bringen muss. „Du bist aber auch so ein richtiger Kevin“ oder „Du machst deinem Namen alle Ehre“. Diese Etikettierungen machen den Umgang miteinander handhabbar, doch sie verdecken auch den Blick auf das Bezeichnete, in diesem Fall den Menschen, der in seiner Komplexität nun mal nicht so leicht einzudampfen ist.

„Der Vorname“ spielt mit Erwartungen und Erwartungserwartungen in einem Milieu irgendwo zwischen oberer Mittelschicht und unterer Oberschicht. Vieles ist Fassade, die erst nach einem wichtigen und clever konstruierten Plot-Twist fällt. Als der Streit eskaliert, kommen die wahren Beweggründe und Meinungen übereinander auf den Tisch und werden anhand am Basisthema der Benennung virulent. Es entsteht ein Sittengemälde, das sich über die Gezeigten gerne lustig macht und jeden Involvierten einmal ins Zentrum der Kritik stellt, doch vor allem bekommt jede Person die Chance, in einem für sie besonders peinliche Moment ihre Maske fallenzulassen, ihren wunden Punkt zu veräußern und für ihn einzustehen.

Der Film kritisiert demnach die heute mangelnde Streitkultur, die auch im liberalen Umfeld zugunsten eines friedvollen Umgangs miteinander vernachlässigt wird. Man gefällt sich in seiner Rolle und seinen Illusionen, dass man gegen Nazis ist, dürfte doch so klar sein, dass man darüber nicht zu sprechen braucht. Aber warum hat man dann Bücher wie kommentierte Fassung von „Mein Kampf“ im Regal stehen, wenn man nicht über sie spricht? Oder warum eigentlich immer dieses „man“, warum nicht „ich“ und „du“? „Der Vorname“ ist als Appell an die Intellektuellen und Gutbetuchten, erst einmal miteinander ins Gespräch zu kommen, bevor sie sich einbilden, sich mit Diensten an der Gesellschaft schmücken zu können. Die eigene Lebensweise zu überprüfen, in der unausgeräumte Konflikte schmoren. Dafür braucht es sicherlich auch Mut, schließlich ist die Kommunikation von Missverständnissen geprägt, doch sie ist auch der Klebstoff einer solidarischen Gesellschaft.

Die Familienmitglieder verstecken sich allesamt hinter ihren sozial anerkannten und vergüteten Rollenbildern und sind so zum wandelnden Klischee verkommen. Doch was bleibt noch vom Leben, wenn man als Professor mit zwei Kindern selbstgenügsam Goethe-Zitate rausfeuert? Es bleiben die Brüche, die den Menschen erst spannend machen, wenn dieser Professor dann als Geizkragen entlarvt wird oder als Mörder (eines Tieres). Stattdessen aber verlieren sich die Charaktere in den idealisierten Rollenbildern, denen sie nacheifern, entfremden sich von sich selbst und haben jedes Feingefühl für die Angemessenheit von Äußerungen und Witzen verloren. Andererseits ziehen sie sich auf sich zurück, verdrängen die wahren Gefühle oder verstecken sie aus Angst vor Verletzungen in Geheimnissen.

Statt offen miteinander umzugehen, agieren die ProtagonistInnen verklemmt, unreif und kindisch. Doch der Streit wirkt befreiend, lässt es die starren Gesichter erregen und Mimik hervortreten, statt sich im gesellschaftlich diktierten Habitus einzurichten. Dementsprechend richtet sich der Film auch an die Zuschauenden mit Mainstream-Geschmack, die über die Details der Paarbeziehung („Schatz, hast du meinen Schlüssel gesehen?“ „Schatz, ist deine Mutter, gehst du ran?“) lachen, dann aber eigentlich merken müssten, dass es ein Lachen über die eigenen, klischeehaften Erfahrungen ist. Ob das zur Läuterung beiträgt, darf angesichts der Zahl der Zuschauenden aber leider bezweifelt werden.

Liberal, frivol, derb, all das ist typisch französisch an „Der Vorname“ und wird (manchmal als augenzwinkernde Hommage) in die deutsche Version übernommen. Das Drehbuch hat Claudius Pläging ins Deutsche übertragen, wobei höchstens das deutsche Spießertum offensichtlicher herausgearbeitet wurde. Die schauspielerischen Leistungen sind größtenteils in Ordnung, aber auch nicht herausragend. Christoph Maria Herbst wird den Fluch seiner Stromberg-Rolle wohl leider nicht mehr los, dagegen kann er noch so fantastisch anspielen. Caroline Peters spielt Elisabeth manchmal etwas zu offensichtlich naiv und Janina Uhse als werdende Mutter wollen „krass“ und „cool“ als verbale Distinktionsmittel nur bemüht über die Lippen kommen.

Bleibt nur noch die Frage zu klären, welchen Anteil Sönke Wortmann nun an diesem Projekt hat. Irgendwie wirkt „Der Vorname“ unfertig, weil dem pointierten Drehbuch einige überflüssige visuelle Schleifen hinzugefügt werden. Wortmann verlässt sich nicht auf das klassische Kammerspiel, bricht einige Male aus dem Haus als Setting aus und arbeitet völlig unnötigerweise mit Rückblenden, die auch gesprochenes Wort hätten bleiben können. Vielleicht beschlich ihn irgendwann auch das Gefühl, er müsse etwas hinzufügen, da sonst der Unterschied zu einer Theaterproduktion nicht klar würde. Kamerafahrten, Fokussetzung, damit kann Wortmann hinter der Kamera arbeiten, doch ein wirklich überzeugendes Argument, warum „Der Vorname“ noch einmal auf die Kinoleinwand musste, kann eigentlich nur an der Berechnung der Gewinnspanne liegen. Das ist schade, schließlich hat das Skript durchaus seine Berechtigung, ist klug verfasst und könnte auch aufrütteln.

Fazit: „Der Vorname“ ist eine auf Massenpublikum ausgerichtete Komödie, die durchaus clever mit diesem Status umgeht. Die Dialoge sind witzig, teilweise pointiert und fließen, nur bleibt die Frage, welchen Anteil Regisseur Sönke Wortmann am Erfolg dieses deutschen Remakes einer französischen Komödie hat, die ihrerseits bereits als Adaption eines Theaterstücks sich die Frage nach der Berechtigung gefallen lassen muss. Schade ist das deswegen, weil der Film durchaus als deutscher Mainstream-Film heraussticht und zum Nachdenken über die Verhältnisse in liberalen und wertkonservativen Milieus einlädt.

Cover und Szenebilder © Constantin Film

  • Titel: Der Vorname
  • Produktionsland und -jahr: (z.B.: USA, 2012)
  • Genre:
    Komödie
  • Erschienen: 04.04.2019
  • Label: Constantin Film
  • Spielzeit:
    ca. 87 Minuten auf 1 DVD
    ca. 87 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    Christoph Maria Herbst
    Florian David Fitz
    Justus von Dohnányi
    Janina Uhse
    Caroline Peters
    Iris Berben
  • Regie: Sönke Wortmann
  • Drehbuch:
    Claudius Pläging
    Alexandre de La Patellière & Matthieu Delaporte (Theaterstück)
  • Kamera: Jo Heim
  • Schnitt: Martin Wolf
  • Musik: Helmut Zerlett
  • Extras:
    Making Of (4 min), Interviews (19 min), Trailer (2 min)
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    2,39:1
    Sprachen/Ton
    :
    D
    Untertitel:
    D, E
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    2,39:1
    Sprachen/Ton
    :
    D
    Untertitel:
    D, E
  • FSK: 6
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite

Wertung: 7/15 dpt


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