“Die Schlampen” ist ein Roman von Dennis Cooper, der 2021 durch den Luftschachtverlag im Deutschen veröffentlicht wurde.
Beim Lesen musste ich mich wiederholt fragen, worum es denn überhaupt geht: Soll gezeigt werden, wie schwer es ist in sozialen Netzwerken die Wahrheit zu finden oder geht es darum, wie weit einen die eigene Perversion, Aufmerksamkeitssucht und Sensationsgeilheit treiben kann, wenn einem eine Plattform geboten wird? Und welche Rolle spielt Sexualität dabei?
Die Handlung selbst lässt die Grenzen zwischen Fantasie, Begehren und Wahrheit verschwimmen und ändert wie bei einem Kaleidoskop durch die schnell aufeinanderfolgenden Entwicklungen ständig den Eindruck, den man gerade hat. Und genauso wie man bei einem Kaleidoskop weiß man nicht was real oder doch nur eine Illusion ist.
Wir verfolgen das Geschehen in einem Online-Forum, in dem männliche Prostituierte bewertet werden können. Dabei wechseln die Figuren ständig, Nutzernamen werden zwischendurch verändert und mehrere Identitäten gleichzeitig angenommen. Im Vordergrund steht die Frage, wer die Prostituierte Brad ist und was es mit ihm auf sich hat. Brad soll eine beliebte Prostituierte sein, da er durch sein kindliches Aussehen und seine Bereitschaft für Geld alles zu tun die Fantasien der Männer anregt. Aber keiner kann Brad eindeutig identifizieren, falsche Rezensionen häufen sich und die Geschichten über Brad spitzen sich immer weiter zu bis ein Geflecht aus Lügen gesponnen wird, welches auch in der Realität Konsequenzen nach sich zieht.
Dadurch, dass die Handlung in Forumsbeiträgen, Rezensionen und E-Mails erzählt werden, hatte ich das Gefühl einen Thriller zu lesen: Wir sehen dabei zu, wie sich die Handlung vor unseren Augen entfaltet, während ein Wendepunkt nach dem anderen folgt. Wir sehen zu wie Menschen wahnsinnig werden während sie in der Geschichte um Brad versinken und ihre geheimsten und brutalsten sexuellen Fantasien teilen. Vergewaltigungen und Mord werden stilisiert und idealisiert, während Sexualpartner objektifiziert und auf ihr Lustpotential reduziert werden. Gewalt wird fetischisiert und es herrscht eine allgemeine Obsession mit Ärschen und androgynen, kindlich aussehenden Männern. Doch während sich die Handlung entfaltet, wird uns doch hin und wieder ein Schnipsel Wahrheit zugeworfen, um den roten Faden der Geschichte nicht zu verlieren.
Beim Lesen habe ich die Geschehnisse niemals als unrealistisch empfunden, obwohl sie für mich als Außenstehende*r absurd wirkten: Das Spekulieren der unterschiedlichen Figuren, die Selbstdarstellung und der Wettkampf um die perverseste Fantasie und die ständig neu hinzukommenden Lügen wirkten durch die Anonymität des Forums glaubwürdig und hätten so auch in Foren zu finden sein können, in denen harmlose Themen wie Spiele, Fandoms oder Politik thematisiert werden.
Was mich aber stört, ist, dass der Schreibstil für diese Art der Geschichtenerzählens zu sauber und zu ausführlich artikuliert war: Ich gehe davon aus, dass es eine besondere Art von Mensch benötigt, um sich die Mühe zu machen Prostituierte zu bewerten – meistens sind es gebildeten und wohlhabenden Männer, die sich diese Dienstleistung leisten können und noch durch die Intellektualisierung und dem Austausch über ihre Erfahrung einen Kick bekommen. Dennoch war das einzige Mal, dass irgendetwas in Richtung Slang verwendet wurde ein “(LOL)”, ohne jemals auf Community-Interne Slangs oder typische Abkürzungen zu werden.
Das ist schade, denn so hätte man als Leser*in wirklich das Gefühl gehabt als Außenstehender einen Einblick in eine geschlossene Community zu erhaschen.
Gerade dieser Einblick ist, was diesen Roman spannend macht: Man hat ständig das Gefühl etwas zu erfahren, dass sich durch die Entfernung zu eigenen Lebensrealität verboten wirkt und deswegen dem ganzen Roman einen besonderen Reiz gibt. Man hat das Gefühl einen Einblick in Abgründe und Perversionen zu erhalten, die man so nicht für real möglich gehalten hätte, was durch die Thematisierung von Sex und Sexualität noch mal reizender wirkt.
Durch Sexualität kann man Selbstbestätigung erfahren, Beziehung aufbauen und sein eigenes inneres Seelenleben erfahren. Dass die Handllung so kaltblütigen und brutal Sex darstellt, scheint das Gegenteil davon zu sein: In diesem Roman war Sexualität immer an Wunscherfüllung gebunden, an das Bedürfnis sadistisch und selbstsüchtig die eigenen Bedürfnisse auszuleben, ohne das Bewusstsein für Konsequenzen. Die Männer in diesem Roman wollten animalisch und triebgesteuert sein, Grenzen überschreiten, sich gegenseitig übertrumpfen. Da bleibt die Frage, wie viele Menschen in unserer Gesellschaft mit solchen Bedürfnissen leben. Würden sie diese Bedürfnisse tatsächlich erfüllen wollen? Und wie weit würden sie dafür gehen?
Abschließend kann ich “Die Schlampen” mit zwei Hinweisen weiterempfehlen: Zum einen wird die Buchung von Prostituierten von den Charakteren im Buch glamourisiert und zum anderen wird Snuff ausgiebig beschrieben. Hin und wieder werden grausame Szenen dargestellt, in welchen beispielsweise Körperteile abgetrennt und anschließend verzehrt werden. Diese Beschreibungen sind nicht allzu ausführlich und kommen erst ab der zweiten Hälfte vor, könnten aber dennoch manche*n Leser*innen aufwühlen.
Abgesehen davon war das Buch spannend bis zum Schluss: Die Frage nach der Wahrheit sorgte dafür, dass ich jeden Austausch gespannt verfolgte und sogar selbst hin und wieder einer falschen Fährte gefolgt bin.
Wer sich nach Einblicke in die brutalen und absurden Neigungen von Menschen und ihre Sexualität sehnt, hat durch “Die Schlampen” einen Schatz gefunden.
- Autor: Dennis Cooper
- Titel: Die Schlampen
- Orginaltitel: The Sluts
- Übersetzer: Raimund Varga
- Verlag: Luftschacht
- Erschienen: 2021
- Einband: Hardcover
- Seiten: 252
- ISBN: 978-3-903081-49-9
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Wertung: 12/15 dpt