Jurica Pavičić – Mater Dolorosa (Buch)

In „Mater Dolorosa“ treffen Krimi und Sozialstudie aufeinander

Die bei Touristen äußerst beliebte kroatische Stadt Split, teilt sich weitgehend in drei Teile auf. Die Altstadt mit ihren Attraktionen, die außerhalb dieser gelegenen Wohnhausblöcke und die heruntergekommenen und im Verfall befindlichen alten Industriebauten. In einem dieser tristen Hochhäuser wohnt Katja mit ihren erwachsenen Kindern Ines und Mario. Nach dem Unfalltod ihres Mannes, für den ihre Stiefeltern sie verantwortlich machen, versucht sie, einigermaßen über die Runde zu kommen. Doch ihre Putzstelle hat zur Folge, dass sie in Früh- oder Spätschichten arbeiten muss, weswegen sie Ines drängt, ihren Chef Davor zu bitten, ihr eine normale Putzstelle in seinem Hotel zu verschaffen. Ines arbeitet dort an der Rezeption, wo jetzt, im Spätherbst, die letzten Touristen die Stadt verlassen. Sie hat ein Verhältnis mit Davor, was dessen Frau Kresnija nicht unbemerkt bleibt. Diese postet nach und nach den Ehebruch auf Facebook. Währenddessen ist für Mario ein Tag wie der andere. Antriebslos und inhaltsleer gleicht sein Leben einem Trümmerhaufen. Ein Job als Seemann wäre ihm Recht, dafür lernen möchte er aber weniger, so ist er immer noch zuhause.

In der verfallenen Ruine einer früheren Chemiefabrik wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Dabei handelt es sich um Viktoria Zeba, deren Eltern beide hoch angesehene Mediziner sind. Man wird den Mord einschließlich der zuvor erfolgten Vergewaltigung also nicht einfach unter den Tisch kehren können. Für Tomaš ist der Mörder schnell ausgemacht, denn Tvrtko Maleš saß bereits wegen Vergewaltigung sechs Jahre im Gefängnis, ist seit drei Jahren wieder frei und zahlreiche Indizien sprechen gegen ihn. Sein Partner Zvone ist anderer Meinung, allein es fehlen die Beweise. Doch nach und nach erkennt er, dass der Mörder Viktorias vermutlich Mario ist. Als Katja und Ines ebenfalls zu dieser Erkenntnis kommen, ist eine Kettenreaktion nicht mehr vermeidbar.

Wie kann Zvone den Mörder überführen, wie die Mutter ihren einzigen Sohn schützen und wie soll sich Ines in dem Spannungsfeld zwischen Familie und Wahrheit verhalten?

Wie die Stadt, so die Familie

Die lesenswerten Romane von Jurica Pavičić erscheinen in Deutschland in dem kleinen Verlag schruf & stipetić. Insbesondere die Romane „Blut und Wasser“ oder „Ein Tod für ein Leben“ konnten überzeugen. „Blut und Wasser“ wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, beispielsweise mit den wichtigsten Krimipreisen Frankreichs im Jahr 2021. Dabei sind die Romane von Jurica Pavičić eine bemerkenswerte Grenzerfahrung zwischen Krimi und Sozial- bzw. Gesellschaftsstudie. So auch in „Mater Dolorosa“, der aus der Sicht der drei Hauptfiguren erzählt wird. Katja, Ines und Zvone werden auf unterschiedliche Art immer tiefer in die Ereignisse verstrickt. Es ist eine grunddüstere Atmosphäre, die die Handlung trägt, nicht nur wegen des schrecklichen Verbrechens, dessen „Aufklärung“ spätestens nach rund 150 Seiten klar ist. Jedenfalls für alle außer Zvone, wobei für die Leser bereits vorab ein Blick auf den Buchrücken respektive die Buchinnenseite ausreicht. Die Ermittlung des Mörders, die durchaus detailliert beschrieben wird und bei der es ja noch einen zweiten, möglichen Kandidaten gibt, ist selbst für Krimifans spannend zu lesen, dient aber nur als Mittel zum Zweck. Wichtiger sind dem Autor die Folgen des Verbrechens für die Betroffenen und deren damit verbundene Verhaltensweisen.

Mitten auf dem Altar stand ein Relief der Mutter Gottes in einem weiten Gewand und mit traurigem Blick. Auf ihrer Brust prangte ein verchromtes gelbes Gerz, aus dem sieben Klingen herausragten. Unter dem Relief standen zwei lateinische Wörter, die aber jeder verstand: Mater Dolorosa. Die Mutter aller Mütter, eine gequälte Mutter, so wie die Mütter in der Kirche. So wie ich, dachte Katja.

Katja versucht im regelmäßigen Besuch der Kirche und der Gottesdienste Rückhalt zu finden, schließlich hatte die Mutter Gottes ebenfalls viele Qualen mit ihrem Sohn erlitten. Katja versucht ihrem Sohn zu helfen, der die Geschehnisse gar nicht wahrzunehmen scheint. Damit bringt sie wiederum Ines in Schwierigkeiten, die sich nicht zwischen ihrem einst geliebten Bruder und dem jetzigen Mörder entscheiden kann. Wie kann Familie und Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden? Wie kann man den entscheidenden Hinweis der Polizei geben, ohne dabei die ganze Familie zu zerstören? Zvone hadert dagegen mit seinem deutlich älteren Partner Tomaš, der noch zu alten Zeiten im damaligen jugoslawischen Polizeikader tätig war. Einschüchterung und Gewalt gehörten zu den gängigen „Ermittlungsmethoden“.

Und während eine Familie dem Abgrund immer näher rückt, verfällt im Hintergrund eine ganze Stadt. Die Fabriken stehen längst leer, sind Bauruinen, in denen Junkies ihre Spritzen setzen. Unrat und Verfall sind allgegenwärtig, kein Ort, wo man mit einer Tochter aus reichem Elternhaus Liebe machen möchte. Die Hochhaussiedlung, in denen Katja, Ines und Mario leben, ist kaum besser. Ende der 1960er Jahre entstanden, ist sie nun trauriger Beweis damaliger kommunistischer Architektur. Hunderte Betonklötze für die Arbeiter, die es schon lange nicht mehr gibt. Gut gemeinte Grün- und Spielflächen sind verschwunden, sie mussten einer neuen invasiven Art den Platz überlassen, denn damals dachte noch niemand an Autos oder gar Parkplätze.

Wer einen durchweg packenden Mix aus Krimihandlung und Sozialstudie lesen möchte, darf erneut gerne zugreifen. Am Ende heißt es: Wie die Stadt, so die Familie.

  • Autor: Jurica Pavičić
  • Titel: Mater Dolorosa
  • Originaltitel: Mater Dolorosa. Aus dem Kroatischen von Blanka Stipetić
  • Verlag: schruf & stipetic
  • Umfang: 356 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: 01/2025
  • ISBN: 978-3-944359-81-6
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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